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Wenn Kinder Angst vor dem Krieg haben

Die Bilder aus der Ukraine sind überall und Kinder sehen sie mit Erschrecken: Brennende Häuser und graue Bombenkrater. Weinende Menschen und vorrückende Panzer. Überfüllte Züge und verzweifelte Flüchtlinge. Wie können wir als Eltern unseren Kindern jetzt helfen, um ihre Ängste vor dem Krieg zu bewältigen?

  • Ängste annehmen und ausdrücken: Die Angst vor Krieg geht sehr tief. Denn in Kriegszeiten können wir uns nicht mehr darauf verlassen, dass die Menschen überleben, die wir lieben, dass unser Zuhause und Heimat bestehen. Diese Angst können wir nur in ihrer ganzen Größe annehmen, nicht relativieren oder rationalisieren. Es wäre uns lieber, wenn unsere Kinder sich nicht mit Gewalt, Zerstörung und Leiden beschäftigen müssten. Aber diese sind im Moment Teil unserer Realität und daher müssen unsere Kinder sie zum Ausdruck bringen dürfen. Wir müssen sie nicht dazu auffordern, doch wenn ein Kind von sich aus beginnt, über seine Sorgen zu sprechen, sie im Spiel oder beim Gestalten und Malen aufzugreifen, ist das heilsam. Es hilft ihm beim Verarbeiten und Loslassen.
  • Auf unsere Kinder eingehen: Jüngere Kinder, die noch nicht zur Schule gehen, sollten wir nicht proaktiv auf den Krieg ansprechen, sondern abwarten, ob und was sie von sich aus thematisieren. Bei Schulkindern ist es wahrscheinlich, dass sie innerhalb der Klasse und von Freunden bereits mit dem Thema in Berührung kommen. Ihnen fehlt jedoch noch die Kompetenz, den Wahrheitsgehalt von Informationen nachprüfen und Meinungen oder Zukunftsszenarien richtig einordnen zu können. Deshalb hilft es älteren Kindern, wenn wir das Gespräch aktiv mit ihnen suchen, uns für das interessieren, was sie schon über den Krieg gehört haben und welche Fragen sie noch haben.
  • Fragen aufgreifen und ehrlich beantworten: Unsere Kinder haben viele Fragen zum Krieg – warum gibt es ihn, was passiert da gerade, könnte es auch bei uns Krieg geben? Kinder müssen spüren, dass sie uns alle Fragen stellen dürfen – auch, wenn wir auf manche keine Antwort haben. Wir können ihnen den Krieg erklären als einen schlimmen Konflikt zwischen Erwachsenen, die noch so lange mit Waffen kämpfen, bis friedliche Lösungen gefunden werden. Wir können auf Karten zeigen, wie weit das Kriegsgeschehen von uns entfernt ist, und betonen, dass sich weltweit sehr viele Menschen dafür einsetzen, den Konflikt einzudämmen und zu beenden. Versprechen, die sich nicht sicher einhalten lassen wie „es ist bald vorbei“ oder „so etwas würde hier niemals passieren“, sollten wir nicht geben.
  • Authentisch bleiben: Unsere Kinder spüren an unserer Stimme, Gesichtsausdruck und Körpersprache, dass uns der Krieg beschäftigt und besorgt. Das sollten wir ehrlich zugeben, ohne die Kinder damit zu überfordern. Wer jetzt als Erwachsener an schlimmen Ängsten leidet, wer spürt, wie eigene oder Familien-Erlebnisse hochkommen und uns triggern, der sollte dies mit anderen Erwachsenen besprechen und sich, wenn nötig, professionelle Hilfe suchen. Unseren Kindern gegenüber dürfen wir ehrlich zugeben, ohne zu vertuschen oder zu dramatisieren „es bedrückt mich, dass Krieg ist“. Den hilflosen Appell an unsere Kinder „davor musst du keine Angst haben“ können wir besser ersetzen durch ein authentisches „ich würde mir wünschen, dass kein Kind Angst haben muss vor Krieg“.
  • Informationen altersgemäß einschränken: Für unsere Kinder macht es einen großen Unterschied, in welcher Form sie Informationen aufnehmen. Wenn wir über das Kriegsgeschehen in der Familie reden oder gemeinsam einen Artikel lesen, können wir Kinder besser vor Eindrücken schützen. Diese überwältigen sie eher, wenn sie allein vor Radio, Fernseher oder Tablet sitzen. Geschriebenes wirkt weniger bedrohlich als Gehörtes und die wiederum weniger als Gesehenes. Je jünger unsere Kinder sind, umso wichtiger ist es jetzt, die technischen Einschränkungen und Schutzfunktionen unserer Medien zu nutzen und darauf zu achten, dass sie nur im gemeinsamen Raum eingeschaltet werden.
  • „Kriegsfreie Zeiten“ vereinbaren: Da uns der Ukraine-Krieg beschäftigt, ist die Versuchung groß, sich rund um die Uhr auf dem Laufenden zu halten. Das tut aber weder kleinen noch großen Menschen gut. Wir Eltern können vorleben, dass wir uns nur zu bestimmten Zeiten informieren und unseren Kopf bewusst freihalten von Kriegs-Bildern und -Informationen zu anderen, wie etwa der Zeit direkt vor dem Zu-Bett-Gehen. So merken unsere Kinder, dass diese Pausen für die eigene seelische Gesundheit richtig und wichtig sind, trotz aller Sorge um die Menschen in der Ukraine.
  • Den Blick auch auf Hilfe und Solidarität richten: Viele Organisationen und Menschen bemühen sich jetzt darum, das Leid der Flüchtlinge zu lindern und den Krieg in der Ukraine zu beenden. Es ist für das Weltbild und Wohlbefinden unserer Kinder sehr wichtig, zu hören und tief zu verinnerlichen:  Menschen können nicht nur gewalttätig und zerstörerisch sein, sondern auch hilfsbereit, mitfühlend und solidarisch zusammenarbeiten.Manchmal geht dies in der Berichterstattung der Medien unter, aber wir können gezielt nach solchen Berichten Ausschau halten und sie miteinander teilen.
  • Eigene Wünsche und Hoffnungen ausdrücken: #HopeForUkraine ist einer der Hashtags, die im Moment am häufigsten gesucht werden. Aus der Resilienz-Forschung wissen wir, dass Hoffnung und Zuversicht echte Schutzfaktoren sind, die uns vor Angstzuständen und Depressionen schützen. Jüngeren Menschen tut es ebenso gut wie älteren, wenn sie kreativ oder spirituell zum Ausdruck bringen, was sie sich wünschen und auf was sie hoffen. Wir können mit unseren Kindern über die Vision einer friedlichen Welt schreiben oder ein Bild malen für uns, für Schule oder Gemeinde, für soziale Medien oder als Plakat im Fenster. Wir können für den Frieden singen, eine besondere Kerze anzünden oder - wenn es uns liegt – zu Hause und im Friedens-Gottesdienst beten oder meditieren.
  • Selbst aktiv werden: In Aktion gehen, seine Selbstwirksamkeit wieder spüren, hilft uns beim Umgang mit Ängsten. Unsere Kinder spüren: Wir können das große Problem nicht lösen und den Krieg nicht beenden – aber wir werden in unserem kleinen Umfeld aktiv. Als Familie können wir für Flüchtlinge sammeln, Sach- oder Geldspenden leisten. Vielleicht wird in unserer Nähe für Flüchtlinge musiziert oder verkauft, vielleicht mögen wir uns mit praktischer Hilfe beteiligen oder an einer Friedens-Demonstration teilnehmen. So spüren Kinder „ich kann selbst etwas tun und stehe meiner Angst vor dem Krieg nicht nur gelähmt und hilflos gegenüber“. Wichtig dabei ist, dass Eltern abschätzen, was und wieviel unseren Kindern noch guttut, und wann sie beginnen, sich von Menschenmengen, anstrengenden Aktivitäten oder miterlebtem Leiden überfordert zu fühlen.
  • Ein Motto für die Zeit des Ukraine-Krieges entwickeln: Möglicherweise haben wir Eltern schon ein Lieblings-Zitat, Bild oder Ritual, das uns in unsicheren Zeiten Kraft gibt? Dann ist jetzt eine gute Zeit, dies mit unseren Kindern zu teilen und, wenn wir mögen, sogar in unserem Zuhause sichtbar zu machen. Für uns persönlich ist es dieses Zitat von Mahatma Gandhi: „Wenn ich verzweifle, dann erinnere ich mich, dass durch alle Zeiten in der Geschichte der Menschheit die Wahrheit und die Liebe immer gewonnen haben. Es gab Tyrannen und Mörder und eine Zeitlang schienen sie unbesiegbar, doch am Ende scheitern sie immer. Denke daran – immer.“

Wir möchten kriegstraumatisierten Kindern in der Ukraine beim Bewältigen ihrer Ängste helfen. Daher spenden die beiden Autor*innen ihren Erlös aus den Verkäufen des Buches "Huch, die Angst ist da!" im März und April an die Stiftung Voices. Diese koordiniert und finanziert die Arbeit von ukrainischen Psychologen vor Ort mit Kindern und Familien, die vom Krieg betroffen sind.

Ulrike Légé

Warum ist die Welt, warum sind wir, wie wir sind? Spannenden Fragen hinterher zu forschen und darüber zu schreiben, hat Ulrike Légé, geboren 1971, schon als Schülerin geliebt. Um ihre Freude daran zum Beruf zu machen, hat sie an der Universität Hamburg ihr Studium der Biologie und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen und mit einem MBA am INSEAD ergänzt. Ulrike arbeitete im Bereich Journalismus, Public Relations, Unternehmensberatung und Marketing. Seit 2014 ist sie freie Autorin und hat sich spezialisiert auf Familienthemen für Printmedien und Blogs.

Fabian Grolimund

Fabian Grolimund, geboren 1978, ist Psychologe und leitet gemeinsam mit Stefanie Rietzler die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Besonders gern setzt er seine Kreativität und Fantasie ein, um etwas Neues entstehen zu lassen: eine spannende Geschichte, einen hilfreichen und praktischen Ratgeber, ein interessantes Seminar oder Kurzfilme für Eltern, Lehrkräfte, Kinder und Jugendliche. Dazu sitzt er am liebsten in einem gemütlichen Café.