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Umweltpsychologie und der Mut zum Wandel

Von Prof. Dr. phil. habil., Dipl.-Psych. Sebastian Bamberg.

Im Sommer 2021 verdeutlichten Ereignisse wie die Hitzewellen und Buschbrände in Nordamerika und den Mittelmeerländern sowie die Überschwemmungen in China, Europa und Nordamerika mit hunderten Toten, Verletzten und Schäden in Milliardenhöhe: Der Klimawandel ist keine ferne Zukunft, sondern aktuelle Realität. Es wird immer klarer, wie das Leben in einer Welt aussieht, in der es der Weltgemeinschaft nicht gelungen ist, die Erderwärmung auf das 1,5°C-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu begrenzen.

Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Klimaneutralität

Der Sonderbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, 2018) betont, dass sich ohne einen globalen Umbau (Transformation) der momentan noch überwiegend fossil basierten sozio-technischen Systeme das 1,5°C-Ziel nicht halten lässt. Sozio-technische Systeme wie z.B. das Mobilitäts- oder Energieerzeugungssystem werden von Gesellschaften entwickelt, um die Bedürfnisse ihrer Bürger*innen nach Nahrung, Wasser, Kleidung, Wohnraum, Energie oder Mobilität zu befriedigen.(8) Typisch für soziotechnische Systeme ist ihre Verbindung sozialer und technischer Elemente wie z.B. Technologien, Märkte, Branchen, Richtlinien, Infrastrukturen, Nutzerverhalten und gesellschaftliche Diskurse(4). Mit ihrem Ziel, die Transformation dieser momentan auch in Deutschland nicht nachhaltigen sozio-technischen Systeme zu initiieren bzw. zu beschleunigen, übernimmt die neue Bundesregierung die Sicht des IPCC. Mit dem Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Klimaneutralität wolle man „gemeinsam Geschichte schreiben“ formuliert Vize-Kanzler Habeck sein politisches Ziel (FAZ.net, 8.12.21).

Alltagspraktiken und Lebensstile müssen sich wandeln

Vielen Bürger*innen, aber vermutlich auch vielen Politiker*innen, ist aber zu wenig bewusst, dass Transformationsprozessen nicht nur technische Prozesse sind. So spiegelt ja schon die Verwendung des Begriffs ‚sozio-technische Transformation‘ die Einsicht wider, dass die klimaneutrale Transformation z.B. unseres Energie- oder Mobilitätssystems nicht nur die Entwicklung und Implementation neuer Technologien, sondern auch tiefgreifende Verhaltensänderungen bedingt. So müssen wir unsere Heiz- und Kühlpraktiken verändern, mit weitreichenderen Auswirkungen auf unsere täglichen Routinen und unser Alltagsverhalten (14).  Auch fossilfreie Transportsysteme erfordern eine Neuordnung von Mobilität und Logistik in unserem täglichen Leben. Klimaneutrale Ernährung setzt primär pflanzenbasierte neue Ernährungsstile/ -gewohnheiten voraus. Erfolgreiche Transformation beinhaltet also nicht nur technische Innovationen und die Verbreitung neuartiger Technologien, sondern das Experimentieren mit und die Annahme von neuen Alltagspraktiken und Lebensstilen durch uns Bürger*innen, ist genauso zentral (6).

Kollektives Handeln im Mittelpunkt umweltpsychologischer Forschung

Damit dies gelingt, erfordert erfolgreiche Transformation nicht nur die Bereitschaft von jedem/jeder Einzelnen, sein/ihr eigenes Verhalten zu ändern, sondern besonders auch die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in Gruppen zu engagieren bzw. als Gruppe zu handeln, um die notwendigen sozio-technischen Veränderungen herbeizuführen bzw. zu unterstützen. Daher rückt kollektives Handeln als wirksame Form, sich aktiv in gesellschaftliche Transformationsprozesse einzubringen, in den Mittelpunkt umweltpsychologischer Forschung. Van Zomeren (13)definiert kollektives Handeln als “… any action undertaken by individuals as psychological group members to achieve group goals in a political context”. Kollektives Handeln kann dabei die Organisation von Demonstrationen oder Formen des zivilen Ungehorsams sein (11). Im Kontext sozio-technischer Transformationen ist jedoch kollektives Handeln, das auf die Entwicklung neuer, nachhaltiger sozio-technischer Systemlösungen abzielt, besonders wichtig. Dabei kommt Experimenten von Graswurzel-Gruppen wie z.B. Recycling-Sozialunternehmen, Bio-Gartenbaugenossenschaften, ressourcensparenden Wohnformen, Solidarischer Landwirtschaft oder kommunalen Kompostierungssystemen eine besondere Bedeutung zu. Die Geschichte erneuerbarer Energieerzeugungssystem wie Windkraft und Photovoltaik zeigt das Potential solcher erst einmal kleinen, radikal anmutenden Experimente: Wenn sie sich bewähren, können sie sich so weiterentwickeln, dass sie die ganze Welt z.B. mit sauberer Energie zu vertretbaren Kosten versorgen können. Neben technologischen Innovationen geht es dabei aber auch immer darum, neue institutionelle Organisationsformen für die Energieerzeugung und -nutzung zu entwickeln, politische Lobbyarbeit und Agenda-Setting zu betreiben oder für Nachfrage für nachhaltige Produkte zu sorgen, zum Beispiel durch gemeinschaftliche Investitionen (2) oder transformative zirkuläre und nachhaltige Geschäftsmodelle (5).

Das Verhalten in Transformationsprozessen – zwischen Engagement und Trägheit

Es ist aber auch wichtig, die Janusköpfigkeit von Verhalten in Transformationsprozesse zu sehen und zu beforschen: Unser alltägliches Verhalten ist ja nicht nur Quelle von Empowerment und Innovation, sondern auch Quelle der Trägheit (4). Einer Trägheit, die auch mitverantwortlich dafür ist, dass Ressourcen verschwendende soziotechnische Systeme nicht unter Druck kommen, sich transformieren zu müssen. So fordern die wenigsten neue nachhaltige und faire Produktions- und Konsummodelle. Vielen genügt es, sich mit den Kauf von Bioprodukten beim Discounter ‚grün zu waschen‘. Ein weiteres Problem besteht darin, dass vermeidlich ‚grüne Produkte‘ (z.B. E-Auto) jetzt sogar mit gutem Gewissen noch intensiver genutzt werden. Dies kann anstelle von Ressourceneinsparungen zu insgesamt noch höheren Ressourcenverbräuchen, sog. „Rebound“-Effekten, führen. Ein damit verbundenes psychologisches Phänomen ist das sog. „moralische Budgetieren“: Mit dem „grünen Verhalten“ in einem Alltagsbereich wird der hohe Ressourcenverbrauch in einem anderen rationalisiert (z. B. vegane Ernährung und Urlaubsflüge (12)).

Noch schlimmer: Verhalten kann auch Quelle des Widerstands gegen notwendige sozio-technische Transformationen sein. Es gibt viele Menschen, die sich aus manchmal individuell nachvollziehbaren Gründen allen politischen Maßnahmen widersetzen, die auf eine Änderung ihres Lebensstils abzielt. Beispiele dafür sind z.B. die Proteste der „Gelbwesten“ in Frankreich, Belgien, Australien und Nordamerika (9). Die strikte Ablehnung der Förderung alternativer Technologien bzw. der Verteuerung ressourcenverschwendender Technologien ist ein weiteres Beispiel für Verhalten als Transformationsbarriere.

Die zentrale Funktion psychologischer Faktoren im Transformationsprozess

Die kurze Skizze macht deutlich, dass die Selbstverpflichtung auf das Ziel zur Transformation der momentan nicht nachhaltigen sozio-technischen Systeme, massive Konsequenzen für die Ausrichtung umweltpsychologischer Forschung hat. Bisher liegt der Fokus umweltpsychologischer Forschung primär auf der Identifikation psycho-sozialer Determinanten alltäglicher individueller Konsumentscheidungen (1,7). Vor dem Hintergrund des Transformationsziels ist dieser Fokus allein aber zu eng und eindimensional: Der Appell an freiwillige individuelle Verhaltensänderung macht nur Sinn, wenn parallel dazu die Rahmen setzenden sozio-technologischen Systeme grundlegend umgebaut werden. Hat die Umweltpsychologie dazu etwas beizutragen? Lassen sich umweltpsychologische Forschungsfragestellungen und –programme entwickeln, die nicht nur einen sinnvollen Beitrag zur Entwicklung erfolgreicher transformativer Strategien leisten, sondern gleichzeitig dem theoretisch/ methodisch ‚State of the Art‘ unserer Disziplin entsprechen bzw. Impulse zu dessen Weiterentwicklung geben können?

Ich bin optimistisch: Aus meiner Sicht kommt verhaltenswissenschaftlichen Faktoren im Allgemeinen und psychologischen Faktoren im Speziellen eine zentrale Funktion bei der Entwicklung und Umsetzung erfolgreicher gesellschaftlicher Transformationsstrategien zu. Das Transformationsprojekt wird nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, Menschen aus allen sozialen Milieus mit sehr unterschiedlichen sozialen Identitäten und politischen Orientierungen so zu vereinen, dass sie gemeinsam diese Herausforderung angehen.  Wir brauchen viel mehr Wissen darüber, was Menschen aus unterschiedlichen sozialen Lagen dazu motiviert, transformative Prozesse weniger als Bedrohung, sondern als spannendes, auch individuelle Weiterentwicklung ermöglichendes gesellschaftliches Projekt zu sehen. Eine weitere zentrale Aufgabenstellung umweltpsychologischer Forschung sehe ich darin, zu erforschen, was Menschen motiviert und befähigt („empowered“) sich aktiv an der Entwicklung und Umsetzung neuer sozio-technologischer Lösungen in den Bereichen Energieerzeugung, Mobilität, Ernährung, Güterproduktion und Konsum zu beteiligen. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Kollegen*innen, die mit innovativen und spannenden Forschungsarbeiten dazu beitragen, diese transformative Forschungsperspektive umzusetzen.

Abschließend noch eine Bitte an Sie: Wenn Sie ein aus der transformativen Perspektive spannendes Projekt kennen oder sogar darin mitarbeiten, erzählen Sie mir davon, ich bin sehr daran interessiert Beispiele kennenzulernen, in denen Menschen mit Elan und Kreativität an neuen sozio-technischen Konfigurationen arbeiten.
 

Literatur

  1. Bamberg, S., & Möser, G. (2007). Twenty years after Hines, Hungerford, and Tomera: A new meta-analysis of psycho-social determinants of pro-environmental behaviour. Journal of Environmental Psychology, 27, 14-25
  2. Burke, M.J., Stephens, J.C., 2018. Political power and renewable energy futures: a critical review. Energy Res. Soc. Sci. Energy Future 35, 78–93. https://doi.org/10.1016/j.erss.2017.10.018.
  3. de Vet, E., Head, L. (2020). Everyday weather-ways: Negotiating the temporalities of home and work in Melbourne Australia, Geoforum, 108, 267–274, https://doi.org/10.1016/j.geoforum.2019.08.022.
  4. Geels, F. W., Schwanen, T., Sorrell, S., Jenkins, K., & Sovacool, B. K. (2018). Reducing energy demand through low carbon innovation: A sociotechnical transitions perspective and thirteen research debates. Energy research & social science, 40, 23-35.
  5. Gossen, M., Ziesemer, F., Schrader, U., 2019. Why and how commercial marketing should promote sufficient consumption: a systematic literature review. J. Macromarket. 39, 252–269. https://doi.org/10.1177/0276146719866238
  6. Kivimaa, P., Lonkila, A., Laakso, S., & Kaljonen, M. (2021). Moving beyond disruptive innovations: a review of disruption in sustainability transitions, Environ. Innovation Sustainability Transitions, 38, 110–126, https://doi.org/10.1016/j.eist.2020.12.001.
  7. Klöckner, C. A. (2013). A comprehensive model of the psychology of environmental behaviour—A meta-analysis. Global Environmental Change, 23(5), 1028-1038.
  8. Loorbach, D., Frantzeskaki, N., & Avelino, F. (2017). Sustainability transitions research: transforming science and practice for societal change. Annual Review of Environment and Resources, 42, 599-626.
  9.  Martin, M., Islar, M., 2021. The ‘end of the world’ vs. the ‘end of the month’: understanding social resistance to sustainability transition agendas, a lesson from the Yellow Vests in France. Sustain. Sci. 16, 601–614. https://doi.org/10.1007/s11625-020-00877-9.
  10.  Németh, A. (2019, September). Innovative behaviour aspects within the circular economy. In ECIE 2019 14th European Conference on Innovation and Entrepreneurship (2 vols) (p. 708). Academic Conferences and publishing limited.
  11.  Scherhaufer, P., Klittich, P., & Buzogány, A. (2021). Between illegal protests and legitimate resistance. Civil disobedience against energy infrastructures. Utilities Policy, 72, 101249.
  12. Sorrell, S., Gatersleben, B., Druckman, A., 2020. The limits of energy sufficiency: a review of the evidence for rebound effects and negative spillovers from behavioural change. Energy Res. Social Sci. 64 doi.org/10.1016/j.erss.2020.101439.
  13. Van Zomeren, M. (2016). Building a Tower of Babel? Integrating core motivations and features of social structure into the political psychology of political action. Political Psychology, 37, 87-114.
  14. Walker, G., Shove, E., & Brown, S. (2014). How does air conditioning become ‘needed’? A case study of routes, rationales and dynamics, Energy Res. Soc. Sci., 4, 1–9, https://doi.org/10.1016/j.erss.2014.08.002.


Zusätzlich empfohlene Literatur:

Barth, M., Masson, T., Fritsche, I., Fielding, K- & Smith, Joanne. (2021). Collective Responses to Global Challenges: The Social Psychology of Pro-Environmental Action. Journal of Environmental Psychology. 74.
101562. 10.1016/j.jenvp.2021.101562.

Bamberg, S., Fischer, D. & Geiger, S. M. (2021). Editorial The Role of the Individual in the Great Transformation Toward Sustainability 
Frontiers in Psychology    
www.frontiersin.org/article/10.3389/fpsyg.2021.710897

Schulte, M., Bamberg, S. & Rees, J. (2021). We, the Change. 
European Psychologist. 2021 26:3, 172-183
10.1027/1016-9040/a000445
https://econtent.hogrefe.com/doi/abs/10.1027/1016-9040/a000445

Wallis, H., Bamberg, S., Schulte, M. & Matthies, E. Empowering People to Act for a Better Life for All
European Psychologist 2021 26:3, 184-194
10.1027/1016-9040/a000445
https://econtent.hogrefe.com/doi/abs/10.1027/1016-9040/a000445

Prof. Dr. phil. habil., Dipl.-Psych Sebastian Bamberg

Prof. Dr. phil. habil., Dipl.-Psych. Sebastian Bamberg ist Professor für Sozialpsychologie und quantitative Forschungsmethoden an der Fachhochschule Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind Einstellungs-Verhaltens-Modelle, Theorien zur Verhaltensänderung und die Theorie der sozialen Identität. Er entwickelt theoriegeleitete Interventions- und Evaluationsmethoden im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitstransformation in Bereichen wie Mobilität, Resilienz und Umweltaktivismus.

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