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Schematherapie: Ein Behandlungsansatz bei depressiven Störungen

Die Schematherapie stellt eine Weiterentwicklung der Verhaltenstherapie dar. Ursprünglich wurde sie zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen eingesetzt. Aber auch Patienten mit anderen psychischen Erkrankungen können von der Schematherapie profitieren. Ein neuer Ansatz zeigt, welche therapeutischen Möglichkeiten sich hier für die Behandlung von Patienten mit depressiven Störungen eröffnen könnten.

Wir haben mit Dr. Samy Egli, einem der Autoren des Therapiemanuals „Schematherapie bei Depressionen", über diese neuen Behandlungsoptionen gesprochen.

Schematherapie kann gut im Gruppensetting angeboten werden

Was ist die Schematherapie?

Herr Dr. Egli, die Schematherapie erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Was ist das Besondere an diesem Ansatz?
Das Besondere sind weniger die einzelnen Elemente der Schematherapie, denn sie integriert bewährte Techniken aus anderen bereits etablierten Psychotherapien. Vielmehr ist das Modell, sozusagen die „Geschichte" der Therapie, sowohl für viele Patienten als auch Therapeuten gut verständlich und gut anwendbar.Wie genau sieht diese „Geschichte" aus?
In der Schematherapie gehen wir davon aus, dass Menschen sich im Verlauf ihres Lebens sogenannte Schemata aneignen. Dabei handelt es sich um Muster aus Erinnerungen, Emotionen, Kognitionen und Körperempfindungen, die das Verhalten beeinflussen können. In der Arbeit mit Patientinnen und Patienten geht es dann darum, diese Schemata zu identifizieren und unerwünschte Verhaltensmuster zu überwinden.

Gibt es noch weitere Besonderheiten? Was unterscheidet die Schematherapie von anderen Therapieansätzen?
Im Vergleich zur Verhaltenstherapie, mit der sie von allen Psychotherapien die größte Überschneidung hat, macht die Schematherapie vor allem das emotions- und erfahrungsbasierte Vorgehen und die therapeutische Beziehungsgestaltung im Sinne der begrenzten Nachbeelterung (limited reparenting) besonders.

Wie kann man sich „begrenzte Nachbeelterung" vorstellen?
Bei der begrenzten Nachbeelterung wird es dem Patienten innerhalb der therapeutischen Beziehung ermöglicht, in begrenztem Maße neue Erfahrungen in Bezug auf frustrierte Grundbedürfnisse nach Bindung, Autonomie, Selbstkontrolle, Selbstwert und Lust, aber auch im Umgang mit Grenzen zu sammeln.
Der Therapeut würde beispielsweise einen Patienten, der früher bei Fehlern immer bestraft oder abgewertet wurde, nicht kritisieren, wenn er einmal zu spät zur Sitzung erscheint. Wenn sich das Verhalten wiederholt, würde der Therapeut Grenzen setzen, indem er die Auswirkungen des Zuspätkommens mit dem Patienten bespricht und gemeinsam mit ihm nach einer Lösung sucht.

Wie sehen emotions- und erfahrungsbasierte Methoden in der Schematherapie aus?
Emotionen können beispielsweise durch Vorstellungsübungen (Imaginationen) aktiviert werden. Für eine ganz typische schematherapeutische Übung braucht man mehrere Stühle: Die verschiedenen inneren Anteile (die sogenannten Modi) des Patienten können dann sichtbar gemacht werden, indem sie auf die unterschiedlichen Stühle gesetzt und miteinander ins Gespräch gebracht werden.

Die Schematherapie und Depressionen

Für die Arbeit mit den 18 verschiedenen Modi wurden Bilder, die sogenannten „Modicons", gestaltet. Zu sehen ist je ein Beispiel aus den 4 Kategorien: DM = dysfunktionale Modi, BM = Bewältigungsmodi, EM = Erwachsene Modi, KM = Kindmodi

Können Sie uns noch etwas genauer erläutern, was ein solcher Modus ist?
Einen Modus (im Plural „Modi") kann man als Persönlichkeitsanteil oder -zustand verstehen, in den wir geraten, wenn vorhandene Erfahrungsmuster (Schemata) aktiviert werden, z.B. durch ein äußeres Ereignis, etwas, das uns stresst.
Wenn wir z.B. früher im Leben oft abgewertet wurden, kann das zu einem Schema der Unzulänglichkeit führen. Machen wir heute ähnliche Erfahrungen, z.B. wenn jemand Kritik an uns übt, kann das zur Aktivierung eines sogenannten „Bewältigungsmodus" führen, der sich so zeigt, dass wir vor der Kritik und Abwertung flüchten (wie wir es früher tun mussten), anstatt uns damit auseinanderzusetzen.

Insgesamt gibt es vier übergeordnete Kategorien von Modi:

  • die kritischen und antreibenden Anteile (die dysfunktionalen Modi),

  • Anteile mit Gefühlen und Bedürfnissen (die Kindmodi),

  • Problemlösungsstrategien (Bewältigungsmodi) und

  • flexibel wahrnehmende und handelnde Anteile (die erwachsenen Modi).

Bei depressiven Patienten findet man häufig zwei typische Modus-Konstellationen. Welche sind das, und wie lassen sie sich therapeutisch nutzen?
Bei Patienten mit einer Depression sind wir in unserer klinischen Erfahrung besonders häufig zwei Arten von Bewältigungsmodi begegnet:

  • vermeidenden und/oder unterwerfenden Bewältigungsversuchen und

  • überkompensierenden Bewältigungsversuchen.

Insbesondere bei der Konstellation mit überkompensierenden Anteilen ist es therapeutisch wichtig, diese sowohl wertzuschätzen bzw. ihre Funktionalität anzuerkennen, ihnen aber auch im Sinne der Nachbeelterung Grenzen zu setzen, z.B. dann, wenn sie dazu führen, dass andere Menschen abgewertet oder verletzt werden.
Bei der Konstellation mit vermeidenden und/oder unterwerfenden Anteilen versuchen wir, durch emotionsaktivierende Techniken direkt zu den oft vermiedenen Emotionen vorzustoßen. Dadurch versuchen wir einerseits, einen Zugang zu den frustrierten psychischen Grundbedürfnissen zu erreichen, und andererseits, dem Patienten neue Erfahrungen im Umgang mit den oft als bedrohlich erlebten Emotionen wie Trauer oder Angst zu ermöglichen.

Die Schematherapie diente ursprünglich der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen. Welche Hinweise gibt es, dass sie auch depressiven Patienten helfen könnte?
Einerseits gibt es einige wissenschaftliche Untersuchungen, die starke Hinweise darauf geben. Die bisher beste Studie dazu von Janet Carter und Kollegen, die 2013 im Journal of Affective Disorders veröffentlicht wurde, stammt allerdings aus dem Bereich der ambulanten Psychotherapie. Um zu überprüfen, ob das auch für den stationären Bereich gilt, haben wir die OPTIMA-Psychotherapiestudie ins Leben gerufen.
Andererseits machen wir in unserem klinischen Alltag immer wieder die Erfahrung (und hören dies auch von Kollegen), dass wir bei Patienten mit Depressionen Fortschritte durch die Schematherapie erzielen, und zwar insbesondere dann, wenn es vorher schwierig war oder keine Fortschritte möglich waren.

Woran könnte es liegen, dass die Schematherapie so vielversprechend für Patienten mit Depressionen ist?
Wir wissen, dass ein beträchtlicher Anteil von Patienten, die unter einer Depression leiden, auch zusätzlich noch unter Persönlichkeitsakzentuierungen oder -störungen leidet. Bei Persönlichkeitsstörungen handelt es sich um chronifizierte Erlebens- und Verhaltensmuster, die zusätzlich zur Depression zu Schwierigkeiten und Belastungen im Alltag für die betroffenen Patienten, aber auch für ihr Umfeld führen können. Gerade in der Veränderung solcher schlecht angepassten Erlebens- und Verhaltensmuster sind emotionsfokussierte Techniken und Strategien der Beziehungsarbeit (Nachbeelterung) sehr erfolgversprechend.
Außerdem erleben viele Patienten mit Depressionen Gefühle wie Traurigkeit und Angst als sehr bedrohlich und haben deshalb gelernt, diese zu vermeiden. Hier helfen die emotionsfokussierten Techniken der Schematherapie, neue Erfahrungen in der Bewältigung dieser Gefühle zu machen.

Die OPTIMA-Studie

Sie sprachen bereits von der OPTIMA-Psychotherapiestudie. Was genau untersuchen Sie in dieser Studie?
In der OPTIMA-Psychotherapiestudie untersuchen wir einerseits, ob die Schematherapie in der stationären Behandlung von Patienten mit einer Depression gleich gut wirkt wie andere bereits etablierte Psychotherapien.
Andererseits wollen wir auch herausfinden, für welche Patienten welche Psychotherapie am besten geeignet ist. Das kann man aktuell, ähnlich wie bei den Psychopharmaka, noch nicht voraussagen. Wenn dies aber gelingt, können wir viel gezielter und schneller behandeln.

Gibt es schon erste Ergebnisse aus der OPTIMA-Studie?
Aktuell wissen wir, dass die Behandlung für alle Patienten in der Studie in der Summe wissenschaftlich erwiesen sehr gut gegen die Depression wirkt. Dies trifft sowohl für die Symptome der Depression zu als auch für die chronifizierten Erlebens- und Verhaltensmuster bei Patienten mit zusätzlichen Persönlichkeitsakzentuierungen oder -störungen. Weitere Auswertungen sollen erst nach Beendigung der Studie vorgenommen werden. Die OPTIMA-Psychotherapiestudie ist als klinischer Versuch unter ClinicalTrials.gov (Suchbegriff: NCT03287362) registriert. Dort können wissenschaftlich Interessierte noch Genaueres nachlesen.

Erfahren Sie mehr zur Teilnahme an der OPTIMA-Psychotherapiestudie.

Quellen

Carter, J. D., McIntosh, V. V., Jordan, J., Porter, R. J., Frampton, C. M. & Joyce, P. R. (2013). Psychotherapy for depression: A randomized clinical trial comparing schema therapy and cognitive behavior therapyJournal of Affective Disorders, 151 (2), 500–505.

Dr. Samy Egli

Samy Egli ist seit 2015 Leitender Psychologe am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Er ist außerdem als Supervisor und Dozent in Verhaltenstherapie und Schematherapie an verschiedenen Ausbildungsinstituten und Kliniken tätig.