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Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen erkennen

Wenn sich eine Familie zur klinischen Diagnostik ihres Kindes oder Jugendlichen vorstellt, sind im Verlauf verschiedene Fragen zu beantworten. In unserem fiktiven Fallbeispiel möchte die Familie von Marie (8 Jahre) die Verdachtsdiagnose ADHS sowie verschiedene Ängste bei einer Psychologin diagnostisch abklären lassen. Hierbei stellt sich die Psychologin unter anderem folgende Fragen: Sind bei Marie die klinischen Diagnosekriterien für eine ADHS erfüllt? Wenn ja, wie stark sind diese Auffälligkeiten ausgeprägt? Wie genau äußert sich die ADHS in der Schule, zu Hause oder in ihrer Freizeit? Gibt es zudem noch weitere behandlungsbedürftige psychische Auffälligkeiten? Um diese Fragen beantworten zu können, setzt die Psychologin im Rahmen einer gezielten klinischen Exploration unter anderem die neuen Interview-Leitfäden DISYPS-ILF ein.

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Was sind die DISYPS-ILF?

Bei den DISYPS-ILF Interview-Leitfäden zum Diagnostik-System für Psychische Störungen nach DSM-5 für Kinder und Jugendliche (DISYPS-ILF) handelt es sich um semi-strukturierte diagnostische Interviews, die ein breites Spektrum gegenwärtiger psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen nach DSM-5 erfassen. Diese Interview-Leitfäden wurden als Ergänzung zu Diagnostik-System für Psychische Störungen nach ICD-10 und DSM-5 für Kinder und Jugendliche (DISYPS-III) entwickelt, um neben einer freien klinischen Exploration anhand der Diagnose-Checklisten (DCL) aus dem DISYPS-III auch eine höher strukturierte Exploration und Beurteilung der Diagnosekriterien zu ermöglichen.

Mit wem kann das Interview durchgeführt werden?

Die Interview-Leitfäden können mit Bezugspersonen (Eltern, Erzieher*innen, Lehrpersonen) und mit den Patient*innen selbst frühestens ab einem Entwicklungsalter von 8 Jahren durchgeführt werden. Die Exploration über Bezugspersonen ist bereits ab einem Alter des Kindes von etwa 3 bis 4 Jahren möglich. Die Fragen sind für die Bezugspersonen ausformuliert und müssen für die Exploration der Patient*innen entsprechend angepasst werden. Bei vielen Merkmalen sind ergänzende Fragen für die Patient*innen formuliert.

Welche Störungsbereiche erfasst DISYPS-ILF?

Die DISYPS-ILF umfassen, wie auch das Diagnostik-System DISYPS als solches, die wichtigsten Störungsbereiche im Kindes- und Jugendalter. Vier der insgesamt fünf Interview-Leitfäden enthalten die Leitfragen zur Durchführung störungsspezifischer diagnostischer Interviews zu den folgenden neun Störungsbereichen:

Interview-Leitfaden für Externale Störungen (ILF-EXTERNAL):

• Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörungen (ADHS)

• Störungen des Sozialverhaltens (SSV)

Interview-Leitfaden für Internale Störungen (ILF-INTERNAL):

• Depressive Störungen (DES)

• Angststörungen (ANG)

• Trauma- und Belastungsbezogene Störungen (TBS)

Interview-Leitfaden für Zwangs- und Tic- Störungen (ILF-ZWANG / TIC):

• Zwangs-Spektrum-Störungen (ZWA)

• Tic-Störungen (TIC)

Interview-Leitfaden für Kontakt-Störungen (ILF-KONTAKT):

• Autismus-Spektrum- und Kommunikations-Störungen (ASKS)

• Bindungs- und Beziehungsstörungen (BIST)


Zusätzlich zu den störungsspezifischen Interview-Leitfäden steht ein Interview-Leitfaden zum Screening psychischer Störungen (ILF-SCREEN) zur Verfügung. Dieser kann Hinweise zu einem breiten Spektrum an psychischen Auffälligkeiten geben.

Wie werden die DISYPS-ILF eingesetzt?

In unserem Fallbeispiel führt die Psychologin gemeinsam mit den Eltern und Marie zunächst den ILF-SCREEN durch. Da sich in der Auswertung des ILF-SCREEN nur alterstypische Ängste, jedoch klinisch auffällige ADHS-Symptome zeigen, entscheidet sich die Psychologin für eine anschließende gezielte Exploration der ADHS-Kriterien mit dem störungsspezifischen ILF-EXTERNAL. Die Psychologin orientiert sich dabei an den beispielhaften offenen Explorationsfragen und exploriert für jedes Symptomkriterium die Phänomenologie (z.B. Macht Marie viele Flüchtigkeitsfehler?) und fragt nach konkreten Beispielen zur Art und Symptomstärke. Hierbei exploriert die Psychologin gezielt die Häufigkeit und Intensität der Symptomatik in den verschiedenen Lebensbereichen und Situationen (z.B. Wie äußern sich diese Flüchtigkeitsfehler bei Marie in der Schule [z.B. Aufgabe nicht richtig durchgelesen, eine Rückseite eines Blattes übersehen…] oder zu Hause [z.B. beim Spielen falsche Spielfiguren setzen]?). Auf diese Weise kann die Psychologin die Informationen der Eltern sowie von Marie selber nutzen, um ihr eigenständiges klinisches Urteil zu bilden.

Gibt es Vorteile gegenüber anderen Arten von Interview-Leitfäden?

Wie in unserem Fallbeispiel von Marie dargestellt, bleibt es der Psychologin während der klinischen Exploration mit den semi-strukturierten DISYPS-ILF grundsätzlich selbst überlassen, wann und in welcher Reihenfolge die Kriterien angesprochen werden (dies im Gegensatz zu einer strukturierten Exploration, bei der die Reihenfolge vorgegeben ist). Dabei müssen die Fragen auch nicht wörtlich vorgelesen werden. Aufgrund der offenen Fragestruktur kann die Psychologin schließlich zu ihrer eigenständigen klinischen Einschätzung der Symptomatik gelangen. Damit grenzen sich die DISYPS-ILF von sehr hoch strukturierten Interviews ab, die als Laien-Interviews nur einen begrenzten klinischen Beurteilungsspielraum erlauben; etwa, wenn nur geschlossene ja/nein-Fragen bestehen. Aus Sicht der DISYPS-ILF Autor*innen sind die DISYPS-ILF die bisher einzig semi-strukturierten Interviews im Kindes- und Jugendalter, die solch einen Beurteilungsspielraum zulassen. Darüber hinaus sind die DISYPS-ILF die einzigen deutschsprachigen Interviews für Kinder und Jugendliche und ihre Eltern, die sich an die konkreten Formulierungen von DSM-5 halten.

Des Weiteren können die DISYPS-ILF unabhängig von den restlichen DISYPS-III-Instrumenten angewendet oder im Rahmen einer multimodalen Diagnostik mit Instrumenten aus dem DISYPS-III-System kombiniert werden, da die Begrifflichkeiten und Dimensionen mit den DISYPS-III-Materialien übereinstimmen. So kann die Psychologin in unserem Fallbeispiel die Interview-Leitfäden mit den Eltern und Marie durchführen und den Lehrpersonen einen Fremdbeurteilungsbogen (FBB) aus dem DISYPS-III vorlegen.

Als einen weiteren wesentlichen Vorteil erachten es die DISYPS-ILF Autor*innen, dass die DISYPS-ILF sowohl eine kategoriale als auch eine ergänzende dimensionale Betrachtungsweise der Symptomatik erlauben. So kann die Psychologin in unserem Fallbeispiel im Rahmen einer kategorialen Auswertung bestimmen, ob die Diagnosekriterien für eine ADHS nach DSM-5 (einschließlich zugeordneter Diagnosenummer nach ICD-10) erfüllt sind oder nicht. Eine ergänzende dimensionale Auswertung (d.h. durch die Berechnung von Kennwerten) liefert zudem Informationen über die Intensität der Symptomatik und damit auch über subklinische Ausprägungen. So kann die Psychologin Marie beispielsweise als hochgradig unaufmerksam, als mittelgradig hyperaktiv und als subklinisch ängstlich beurteilen.

In welchen Bereichen können die DISYPS-ILF eingesetzt werden?

Die DISYPS-ILF eignen sich zur Erfassung und Diagnostik von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen sowie zur Verlaufskontrolle und Qualitätssicherung. Die Interview-Leitfäden können in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie, Erziehungsberatung und Schulpsychologie eingesetzt werden. Insbesondere Berufsanfänger*innen können sich anhand der DISYPS-ILF mit den diagnostischen Merkmalen der für das Kindes- und Jugendalter wichtigsten Störungsbilder vertraut machen. Hierbei erleichtern die DISYPS-ILF die Durchführung eines umfassenden diagnostischen Interviews. In der Forschung ermöglichen die DISYPS-ILF die Überprüfung von Diagnosen mittels eines strukturierten und standardisierten Verfahrens.

Gibt es schon Analysen zur psychometrischen Güte der Interviews?

Ja, aktuell werden mehrere Studien zur psychometrischen Qualität der Interview-Leitfäden durchgeführt. Bislang liegen Ergebnisse zum ILF-EXTERNAL vor.

Die Interrater-Reliabilitäten (d.h. die Übereinstimmung zwischen mehreren Beurteiler*innen) aller Skalen des Interview-Leitfadens sind als gut bis exzellent einzuschätzen. Für die Symptomskalen wurden überwiegend zufriedenstellende bis gute interne Konsistenzen (Cronbachs Alpha zwischen α = .71 und α = .87, mit Ausnahme von der reduzierten Skala aggressiv-dissoziales Verhalten mit α = .60) ermittelt. Die Skalen zu Funktionsbeeinträchtigung und Leidensdruck sind für ADHS im grenzwertigen (α = .62) und für SSV im sehr guten (α = .86) Bereich.

Da die DISYPS-ILF auf den Kriterien des DSM-5 basieren, kann grundsätzlich von einer hohen Inhaltsvalidität ausgegangen werden. Auch in Bezug auf die Validität stehen bisher Angaben zum Interview-Leitfaden für Externale Störungen (ILF-EXTERNAL) zur Verfügung. Die konvergente Validität konnte durch hohe Zusammenhänge der Skalen des ILF-EXTERNAL mit den entsprechenden Elternbeurteilungen aus DISYPS-III (Pearson Korrelationen zwischen r = .57 und r = .78), sowie überwiegend zufriedenstellende Zusammenhänge mit den CBCL / 6-18R Problemskalen nachgewiesen werden. Analysen zu den weiteren Verfahren werden durchgeführt oder sind in Planung.

Dr. Ann-Kathrin Thöne

Dr. Ann-Kathrin Thöne ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Uniklinik Köln (AKiP). Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Ausbildung.

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