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Professionelle Auswahlprozesse in der Praxis umsetzen – Entwicklung eines verhaltensbasierten Anforderungsprofils

Die Anforderungsanalyse stellt nach DIN 33430 die Grundlage für jede Eignungsbeurteilung dar und ist daher der erste Schritt zur Sicherung einer hohen diagnostischen Qualität. Ziel der Anforderungsanalyse ist die Definition eines Anforderungsprofils, welches die erfolgskritischen Eigenschafts- und Verhaltensanforderungen der Stelleninhaber*innen beschreibt.

Um diese Anforderungen zu definieren, kann auf verschiedene Art und Weise vorgegangen werden. Dabei sollten so viele Informationen über die zu besetzende Stelle gewonnen werden, wie möglich. Neben der Analyse der verschiedenen vorliegenden Informationen zu einer Stelle (Stellenbeschreibung, Kompetenzmodell, Unternehmens- oder Führungsleitbild, etc.) bilden für die Stelleninhaber*innen „erfolgskritische Situationen“ und deren Verhalten in diesen Situationen einen zentralen Bestandteil der Anforderungsanalyse. Basis dieses Vorgehens ist die Critical Incident Technique (CIT; Flanagan, 1954), welche ursprünglich zur Leistungsbeurteilung entwickelt wurde.

„Jede seriöse Personalauswahl und -platzierung setzt eine Anforderungsanalyse voraus.“ Kanning, 2019; S. 262

Was sind erfolgskritische Situationen?

„Erfolgskritische Situationen“ sind Situationen des beruflichen Alltags, die so wesentlich sind, dass sie über Erfolg und Misserfolg von Stelleninhaber*innen entscheiden können und es daher ermöglichen, zwischen geeigneten und weniger geeigneten Personen zu unterscheiden. Die jeweiligen Situationen sollten für die jeweilige Stelle typisch und daher häufig zu beobachten sein.

Bei der Sammlung erfolgskritischer Situationen sollte das konkrete Verhalten von Stelleninhaber*innen in verschiedenen Situationen erfasst werden, um eine verhaltensnahe Beschreibung der Anforderungen zu ermöglichen. Dabei können vergangene oder hypothetische Situationen bezogen auf aktuelle oder zukünftig relevante Aufgaben beschrieben werden. Das Verhalten der Stelleninhaber*innen kann als positives Beispiel (effektiv gelöste Situationen) oder negatives Beispiel (ineffektiv gelöste Situation) ausgeführt werden. Mithilfe von detaillierten, standardisierten Nachfragen wird eine detailreiche, verhaltensnahe Beschreibung der Situation und des jeweiligen Verhaltens und seiner Konsequenzen erreicht. Dabei werden verschiedene W-Fragen verwendet, z. B.: Wie kam es zur Situation? Wie war die Situation gestaltet? Welche Personen waren beteiligt? Wie hat sich die Person genau verhalten? Welche Folgen hatte das Verhalten der Person in der jeweiligen Situation? Was war besonders (in-)effektiv? Was hätte die Person (noch) besser machen können?

Die beschriebenen kritischen Situationen bilden so nicht nur eine wichtige Basis für das Anforderungsprofil, sondern auch eine wertvolle Grundlage für die Entwicklung von verhaltensbasierten Methoden im diagnostischen Prozess (situative bzw. biographische Interviews, Fallstudien, Postkörbe, Rollenspiele, etc.).

Wie können erfolgskritische Situationen erfasst werden?

In Kombination mit der Erfassung von weiteren Informationen zur betreffenden Stelle (fachliche Anforderungen, Qualifikationsanforderungen, etc.) können erfolgskritische Situationen auf verschiedene Art und Weise erhoben werden.

Befragt werden sollten dabei aktuelle Stelleninhaber*innen, Führungskräfte, Mitarbeiter*innen aus dem Personalbereich sowie weitere Stakeholder.

In der Praxis werden verschiedene methodische Zugänge eingesetzt:

  1. Fragebogenbasierte Abfragen eignen sich immer dann, wenn eine große Anzahl an Personen am Prozess beteiligt werden soll und deren Einschätzungen und Erfahrungen strukturiert erfragt werden sollen.
  2. Strukturierte Interviews eignen sich besonders, wenn Anforderungen und erfolgskritische Situationen bei einzelnen relevanten Stakeholdern, z. B. bei Führungskräften abgefragt werden sollen und der Aufwand für diese Zielgruppe möglichst klein zu halten ist.
  3. Anforderungsworkshops werden häufig eingesetzt, um erfolgskritische Situationen bei einer großen Gruppe von Personen zeitgleich und im Austausch zu erheben, mit dem Ziel die erfassten Situationen gemeinsam zu konkretisieren.

Im nächsten Schritt nach der Sammlung erfolgskritischer Situationen sollten diese priorisiert und hinsichtlich ihrer Prototypizität bewertet werden, um die Anzahl der Situationen, mit denen weitergearbeitet wird zu reduzieren. Im letzten Schritt werden die gesammelten Verhaltensweisen und alle weiteren Informationen zu den Anforderungen der Position integriert, geclustert und übergeordnete Anforderungsdimensionen abgeleitet.

Was gilt es darüber hinaus zu berücksichtigen?

Neben der verhaltensbasierten Basis des Anforderungsprofils gilt es darüber hinaus ein möglichst genaues Bild von Zielen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der zu analysierenden Stelle zu gewinnen. Dies kann im Rahmen der gewählten Methode erfolgen, sollte aber mit einer weiteren Dokumentenanalyse vertieft werden. Neben den ermittelten überfachlichen Merkmalen werden in diesem Zusammenhang besonders auch erfolgsentscheidendes Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten herausgearbeitet.

Welche anderen Methoden gibt es, um Anforderungen zu erheben?

Neben einem personenzentrierten Herangehen, wie es der Zugang über erfolgskritische Situationen ermöglicht, kommen auch arbeitsplatzanalytische Methoden zur Anforderungsermittlung in Frage. Hierbei wird die Tätigkeit bzw. der Arbeitsplatz in der Regel genau analysiert und in relevante Teilelemente zerlegt. Unterstützung bieten hier standardisierte Fragebogenverfahren, welche z. B. die Beurteilung der Relevanz von Teilaspekten der Tätigkeit (z. B. F-JAS) oder zugrundeliegenden Personenmerkmale (z. B. BIP-AM) für die jeweilige Stelle oder Funktion ermöglichen.

Wir unterstützen Sie bei der Konzeption und Umsetzung Ihrer Auswahl- und Entwicklungsprozesse

Wir unterstützen Sie sowohl in Rekrutierungs- und Auswahlprozessen als auch bei der Analyse von Potenzialen von Nachwuchs-, Fach- und Führungskräften. Dabei besteht unsere Kernkompetenz in der Entwicklung von Prozessen, mit denen die definierten Anforderungen effektiv und effizient erfasst, analysiert und bewertet werden. Dazu kombinieren wir die geeigneten psychometrischen Testverfahren mit verhaltensorientierten Methoden und strukturierten Interviews.

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Literatur

DIN (2016). DIN 33430: Anforderungen an berufsbezogene Eignungsdiagnostik. Berlin: Beuth.

Flanagan, J. C. (1954). The critical incident technique. Psychological Bulletin, 51 (4), S. 327–358.

Koch, A., & Westhoff, K. (2012). Task-Analysis-Tools (TAToo). Schritt für Schritt Unterstützung zur erfolgreichen Anforderungsanalyse. Lengerich: Pabst.

Schuler, H. & Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe.

Schuler, H. (2014). Psychologische Personalauswahl: Eignungsdiagnostik für Personalentscheidungen und Berufsberatung. Göttingen: Hogrefe.

Kanning, U. P. (2019). Standards der Personaldiagnostik. Göttingen: Hogrefe.

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