Sie haben ja bereits betont, wie wichtig Prävention ist, was würden Sie sich wünschen zum Thema?
Damit sind wir jetzt natürlich auf einer anderen Ebene, auf einer Metaebene. Ich würde mir da einiges wünschen. Das betrifft nicht nur Prävention, das gilt z.B. auch für Führung und zuträglichen professionellen Umgang miteinander: Wir sollten für den Beginn von Fehlentwicklungen sensibler werden. Und uns auch nicht scheuen, uns gelegentlich freundschaftlich auf die Füße zu treten. In der Regel sind bestimmte Verhaltensweisen, die sich zunehmend negativ entwickeln, für Dritte langfristig deutlich erkennbar. Dann stellt sich die Frage, wie damit umzugehen ist. Allzu häufig wird leider weggeschaut und das Wahrgenommene ignoriert, man könnte sich aber auch die Mühe machen und die Menschen nach den Gründen für ihr Verhalten fragen. Ich wünschte mir, dafür würde mehr Energie investiert. Wenn man andere fragt, ist es allerdings auch unumgänglich, angemessen mit den Antworten, die man bekommt, umzugehen.
Jede Führungskraft trägt ein Stück weit Verantwortung für ihr berufliches personelles Umfeld. Also auch für einen sich abzeichnenden Burnout im Bereich der Mitarbeitenden. Im Führungskontext, davon bin ich überzeugt, ist es angemessen und gut investierte Zeit, auch schwache Signale frühzeitig aufzunehmen und Situationen klärend zu öffnen: Warum weint da jemand? Was steckt dahinter? Diese Gespräche kann man nicht einsparen und sich nicht ersparen. Auf diese Weise erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man gut und erfolgreich miteinander arbeitet. So entsteht auch für die Zukunft ein Klima des Vertrauens. Dafür wieder mehr Sensibilität zu schaffen, ist uns in den letzten Jahrzehnten ein Stück weit abhandengekommen. Hierbei spielt wahrscheinlich auch die Digitalisierung eine Rolle. Wir müssen persönlich mit den Menschen sprechen. Greifen Sie zum ‚Äußersten‘: Sprechen Sie miteinander - wirklich! Wenn wir angemessen miteinander sprechen, lässt sich viel Ungutes vermeiden. Wichtig ist es natürlich, aufrichtig miteinander umzugehen. Dazu ist Vertrauen unabdingbar.
Ein verbreitetes Phänomen ist, dass viele Menschen dünnhäutiger werden und nur noch positiv betätigendes Feedback wollen, woraus sich ein gefährlicher Kreislauf entwickelt. Die Führungskräfte fassen viele nur noch mit Samthandschuhen an, wobei viele Führungskräfte selbst auch nur noch mit Samthandschuhen angefasst werden wollen. Insbesondere für Personen mit Führungsverantwortung gilt: Antennen ausfahren, Sensoren scharf stellen, Ohren offenhalten, um Entwicklungen und Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen – aber auch, um positive Entwicklungen nicht zu verpassen und frühzeitig zu bestärken. Meine Überzeugung ist, dass, wenn es uns wieder gelingt, uns für die Menschen Zeit zu nehmen, sensitiver zu führen und genauer hinzuhören, wir den Invest hundertfach zurückbekommen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!