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Führungsfaktor Resonanz – gelassen und stark in Führung gehen

Dr. Jörg-Peter Schröder ist Arzt, Führungscoach und Burnout-Experte, mit Natalia Blank, Personal-Trainerin und Coach, hat er das Buch „Führungsfaktor Resonanz – gelassen und stark in Führung gehen“ geschrieben. Wie Führungskräfte aus der Härte herausfinden, durch Selbstreflexion zu neuer Kraft und Leichtigkeit gelangen und damit nicht nur aus der Burnout-Falle kommen, sondern auch Begeisterung und Motivation im Team anregen, hat er uns in einem anregenden Gespräch verraten.
 

Herr Dr. Schröder, in Ihrer Einleitung sprechen Sie von Gelassenheit und Leichtigkeit, die Führungskräfte erreichen können sollen, das klingt erst einmal ungewöhnlich. Ist das Selbstverständnis von Führungskräften nicht noch immer gekennzeichnet durch die Vorstellung, möglichst viel und lange arbeiten zu müssen, hart gegenüber sich selbst und anderen zu sein?

Hart arbeiten, Überstunden machen, das sind alte interne Antreiber und Verhaltens- und Glaubensmuster, die uns genau dorthin gebracht haben, wo wir momentan sind. Schnell und effizient, das können die meisten, aber leicht und locker, das fällt wahnsinnig schwer. Wir haben festgestellt, dass viele Führungskräfte selbst am Ende ihrer Kraft sind. Sie merken, dass sie dünnhäutig geworden sind, weil sie feststellen, dass die Taktung schneller geworden ist, dass noch mehr on top gekommen ist. Vielleicht gibt es z.B. eine Reorganisation in der Unternehmung und dazu kommen noch angstschürende Dinge wie Corona, Krieg, Inflation usw. Und das macht einfach eng. Ein Punkt ist, nicht mehr weiter an dieser Effizienzschraube zu drehen, sondern genau zu gucken: Wie wäre es denn, wenn die Leute anders in die Kraft kommen – indem sie gelassener werden. Gelassenheit hat viel mit Loslassen zu tun, d.h. raus aus diesem Harten, Angestrengten, mehr in eine neue Form von Bewegung und Beweglichkeit kommen. Wenn wir weiter in dieser Härte bleiben, dann enden viele entweder in Teamkonflikten, in der Erschöpfungsdepression oder im Burnout.

Es kommt eben nicht darauf an, besonders hart und taff zu sein, sondern klar in der Sache und dennoch den Mitarbeitenden gegenüber wertschätzend und respektvoll. Dadurch ändern wir die Teamkultur, das hat Auswirkungen auf die Art, wie wir mit Konflikten umgehen. Aber es setzt Selbstreflexion der Person, die in der Führungsposition ist, voraus. Der erste Schritt ist immer Selbstreflexion! Nehme ich meine eigenen Bedürfnisse wahr? Und kann ich diese auch artikulieren im Kontext im Gespräch mit den Mitarbeitenden?

Sie schreiben: „Die Frage ist nicht, was Führungskräfte machen müssen, um erfolgreich zu führen, sondern wie Führungskräfte in Zukunft sein müssen, um die Kreativität und Verbundenheit in Teams heben zu können.“  Kommt es nicht aufs Handeln an?

Stellen wir uns vor, es kommt eine Unternehmensberatung in Ihr Unternehmen. Die macht eine Ist-Analyse, eine Schwachstellenbeschreibung, eine Soll-Konzeption und dann werden Ziele und Maßnahmen abgeleitet. Und was passiert bei den Mitarbeitenden? Sie gehen erstmal in den Widerstand, in die Abwehr. Warum? Weil nur an der Machensebene gearbeitet wird: Was müssen wir tun? Aber bevor wir die Frage nach dem Was stellen, ist es viel wichtiger, sich über die Art und Weise, das Wie, und über die Frage nach dem Wozu, nach dem Warum, Gedanken zu machen. Weil die Fragen nach dem Wozu und dem Warum immer an die Sinnhaftigkeit andocken. Sinnhaftigkeit hat etwas mit meiner intrinsischen Leistungsbereitschaft zu tun. Wenn die geklärt ist und wenn sie für mich stimmig ist, dann bin ich bereit, etwas zu tun. Das bedeutet, die zweite Frage ist das Wie, wie gehen wir miteinander um, wie ist die Art und Weise, wie wir das gestalten wollen? Erst in der letzten Instanz kommt die Frage nach dem Was. Die erste Frage muss immer die nach dem Warum sein, wir sind in einem sozialen Kontext, wir sind soziale Wesen. Überspitzt würde ich sagen: wir sind human beings und nicht human doings. Natürlich muss gehandelt werden, aber wir müssen vorher klären, was die Bereitschaft dazu erzeugt. Wenn die Bereitschaft da ist, dann haben wir keine Konflikte mehr und alles geht viel leichter. Es funktioniert nicht über Druck, bei Druck werden die Fehler häufiger, die Arbeitsunfähigkeitsrate höher, die Krankheitsrate höher, die Fluktuation wird höher – und am Ende des Tages sinkt die Produktivität! Aber wenn wir ein anderes Klima schaffen, ein Klima von Verbundenheit, ein Klima von Eigenverantwortung, dann sind Leute ganz anders bereit sich zu öffnen.

Im Buch gibt es einen 8-Stufen-Plan, ein Empowerment-Programm, was soll mit dem Plan erreicht werden und muss ich mich strikt an dieses Programm halten?

Nein, es geht nicht darum, sich strikt an Pläne zu halten, sondern das sind quasi offene Impulsfragen, die die Führungskräfte in Reflexion bringen. Aufgebaut ist dieses 8-Stufen-Programm in der ersten Stufe mit der Frage: Wo stehe ich selbst? Was gibt mir eine Neuorientierung oder wo gibt es Dinge, die vielleicht schwer gefallen sind? Wo bin ich gegen Widerstände gestoßen? Das Stichwort ist Reflexion, erst einmal innezuhalten, mit sich selbst klar und ins Reine zu kommen. Das bedeutet, für sich selbst die Kompassnadel wieder neu auszurichten: Wo stehe ich momentan und wo geht die Reise hin? Mit einer klaren Orientierung habe ich auch die Möglichkeit, mit mir selbst wieder Klarheit zu entwickeln. Was macht mich aus mit meinem Potenzial, mit meinen Talenten, mit meinen Fähigkeiten. wie führe ich?

Die zweite Ebene ist  das Team. Wie ist eigentlich unser Team Spirit? Wie gehen wir miteinander um? Was passiert, wenn wir Konflikte im Team haben? Sprechen wir sie an, oder lassen wir zu, dass Mitarbeitende es nicht mehr wagen, ihre Meinung zu äußern?

Die dritte Ebene ist die organisatorische oder die Unternehmenskultur. Wie sind die Leitlinien innerhalb des Unternehmens? Können die Mitarbeitenden ihre Freiheitsgrade und ihre Selbstverantwortung leben? Wenn das gegeben ist, dann sind Leute von innen empowert, dann braucht es keine Motivatoren, Boni oder ähnliches. Die Menschen wollen keine Zulage haben im Sinne von Schmerzensgeld, sie wollen gesehen werden in ihrem Potential. Wenn wir diese drei Ebenen gut zusammenspielen, dann kann man sagen, es ist eigentlich egal, wo man in diesem 8-Schritte-Programm anfängt. Sie können auch mit der Unternehmensebene anfangen, allerdings schlage ich immer vor, erst einmal mit sich selbst als Führungskraft anzufangen, bevor man schaut, wie die Unternehmenskultur verändert werden kann.

„In Bewegung kommen“ lautet die 6. Stufe im 8-Stufen-Plan. Wie muss ich das verstehen, ist es auf den Körper bezogen oder auf den Geist? Spielt körperliche Bewegung überhaupt eine Rolle?

Ja, sie spielt eine wichtige Rolle! Wenn ich anfange einzusteifen vom Körper, dann wirkt sich das auf meine mentale Verfasstheit aus. Ich werde eng werde in meiner Vorstellungswelt, habe vielleicht nur noch einen Tunnelblick. Das Thema Embodiment, also die Verbindung zwischen dem Körperlichen und dem Geistigen, auch dem Seelischen, ist eine gute Dimension, um wieder neu zu fragen: Was bewegt uns, was bringt uns in Bewegung und wie steht es mit unserer Beweglichkeit? Die Beweglichkeit des Unternehmens, des Teams, aber auch meiner ganz persönlichen.

Diejenigen, die spüren, dass irgendetwas im Körper nicht mehr stimmig ist, sollten auf den Rückschluss kommen: Was sagt mir das eigentlich über mich? Man kann versuchen psychosomatisch zu dekodieren, was unser Körper uns sagt, z.B. wenn man starken Schwindel hat.  Sich zu fragen: Wieso ist mir so schwindelig? Was habe ich  zu viel um die Ohren und was müsste ich persönlich ändern? Was passiert, wenn ich meine Bewertung ändere? Diese Wechselwirkung haben wir im Buch sehr ausführlich dargestellt, auch gerade im Hinblick auf die psychosomatischen Marker.

"Quiet Quitting“ war in letzter Zeit ein vielzitierter und diskutierter Begriff. Wäre dies nicht der Fall, wenn wir schon eine andere Führungskultur etabliert hätten?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das so ist! In dem Moment, in dem wir partizipativer führen, fühlen sich die Leute ganz anders wahrgenommen. Das beginnt mit Hinhören und Hinsehen. Wenn wir nie Zeit haben, weil wir supereffizient sein müssen, dann sind wir nicht mehr miteinander in Kontakt. Und das ist ja genau das, was wir im Buch mit Resonanz bezeichnet haben, die Schwingungsfähigkeit, wie wir miteinander umgehen. Entscheidend ist die Art, wie wir kommunizieren. Das bedeutet, sich als erstes die Zeit zu nehmen, hinzuhören, zuzuhören. Aus dem Hinhören ermöglicht sich ein Verstehen, aus dem Verstehen ein Verständnis und aus dem Verständnis kann sich ein Einverständnis entwickeln: Ja, so machen wir das. Dann bringe ich mich ein. Das ist eine Form von Commitment, aber die Commitment-Dimension kann man nicht aufdrücken, sie entwickelt sich im Gespräch.

Mit dieser Art der Führung könnte man dann z.B. auch Konflikte zwischen Generationen vermeiden?

Ja, und  zwar in beide Richtungen. Dass nicht nur die Jüngeren von den Älteren lernen, sondern auch die Älteren von den Jüngeren. Die Generation, die jetzt Anfang Zwanzig ist, sagt: Ich habe 8 Stunden meiner Lebenszeit verkauft und der Rest ist Work-Life-Balance – und recht haben sie! Die Wartelisten der Psychotherapeuten und Psychiater sind voll. Wir müssen uns doch nicht nur Gedanken machen, wie wir Menschen behandeln, die in einer Posttraumatischen Belastungsstörung sind oder im Burnout, sondern wir müssen überlegen, wie wir eine Kultur schaffen, die Gesundheit erzeugt. Überspitzt würde ich sagen: Arbeit macht Spaß oder krank. Das sind genau die Dimensionen, auf die wir in Zukunft viel mehr Wert legen sollten. Deshalb sind für mich solche Vokabeln wie Resilienz, Mental Health und Wellbeing ein Zukunftsthema, um die Kultur auch im Sinne der Produktivität neu ausrichten zu können. Anstatt therapeutisch an einem Problem zu arbeiten, wäre es viel besser, prophylaktisch oder präventiv daran zu arbeiten, dass die Kultur sich gesund entwickelt, ohne, dass Krankheit entsteht. Das kann ich für mich als Person machen, in der Reflexion: Was tue ich für meinen Körper, wie stärke ich mich im wahrsten Sinne des Wortes, was braucht ein Körper, der stark ist, und wie stärken wir unser Immunsystem, wie stärken wir unsere Konfliktfähigkeit, wie schaffen wir es, dass wir gut miteinander in Kommunikation sind, ohne dass es in Streit, Konflikt oder Krieg ausartet.

Für Führungskräfte ist Erfolg unumgänglich. Provokativ gesagt: Bringt mir das Programm etwas, wenn es um den Erfolg meines Unternehmens geht?

In höchstem Maße ja, auf allen drei Ebenen! Die erste Ebene ist: Wie führe ich mich selbst? Bin ich selbst erfolgreich? Entspricht das, was ich mache, meinen Werten, meinen Potentialen, meinen Talenten? Was ist für mich mein größter Impact?

Die zweite Ebene ist: Was tun wir eigentlich, um sinnstiftend miteinander umzugehen? Wie vermittle ich etwas, was sinnstiftend ist? Wenn ich, statt eine Aufgabe zu delegieren, eine Verantwortung übertrage, dann merkt der*diejenige: Das ist eine sinnvolle Aufgabe, mit der ich zu einem höheren Ganzen einen Mehrwert beitrage. Deswegen ist es so wichtig, immer wieder das Sinnstiftende in den Vordergrund zu stellen und auf der anderen Seite damit auch Leistungsbereitschaft zu triggern, am Ende des Tages geht es um Leistungsfähigkeit, um Produktivität.

Eigentlich müsste man sagen: Wenn die Leute nachts gut schlafen können, sich keine Sorgen machen müssen, dann können sie auch am nächsten Tag im Unternehmen gut anpacken, ob das geistig oder manuell ist. Aber genau der Punkt ist es ja, der auch den Erfolg von Unternehmen ausmacht: Sind Leute motiviert, vom Willen und vom Können, dann generieren wir damit Erfolg, Produktivität und Wertschöpfung und am Ende des Tages auch positive Dimensionen für die Bilanz.

Was sehen Sie als größte Herausforderungen, was als größte Chancen in der Arbeitswelt? Haben wir uns in den letzten Jahren in eine positive Richtung bewegt, etwa durch die Erfahrungen in der Pandemie?

Ich glaube, dass durch die Pandemie sehr viele Dinge ins Positive gekommen sind, vor allem in Richtung der Digitalisierung. Das sind ungeheure Erfolge, die man auch einmal honorieren muss. Nicht jedes Online-Meeting ist ein Ersatz, aber eine tolle Ergänzung! Es gibt natürlich auch negative Auswirkungen der Pandemie, dass teilweise vielleicht Verbindungen gekappt wurden. Wenn wir uns früher am Kaffeeautomaten getroffen haben oder im Lift, dann haben wir kurz miteinander geredet und das hat eine Verbindung verbessert. Wenn wir uns jetzt nur noch online treffen und nur noch ÜBER etwas sprechen, dann sind wir nicht in Verbundenheit. Das Zweite, was ungeheuer wichtig ist: In den Medien ist sehr viel Angst und Sorge suggeriert worden und es ist wichtig, dass wir wieder zu Mut und Zuversicht kommen. Dass wir uns nicht im Defizit fühlen und in der Angst. Angst macht eng und wenn die Gefäße eng sind, dann gibt es keinen Sauerstofftrigger mehr, dann kann ich nicht kreativ und innovativ handeln. Es ist wichtig, dass wir uns klar machen, dass wir bisher mit jeder Krise gut umgegangen sind und co-kreativ zu einer Lösung kommen können. Das ist eine innere Haltung, ein Selbstverständnis, das bedeutet, mutiger zu werden, zuversichtlicher zu werden, wieder eine Kultur des Vertrauens zu schaffen. Zutrauen und Vertrauen und Mut, das sind wichtige Faktoren und die Schlüsselelemente dazu sind Gewährung von Freiheitsgraden und Übertragung von Eigenverantwortung.
Deswegen nenne ich mein Unternehmen auch Frequenzwechsel. In der Musik ist zwischen Moll und Dur nur ein Halbton, wir müssen nur diesen Halbton verändern. Wenn wir sagen: Ich sehe etwas und denke: Oh Gott, das ist aber schwierig, dann ist das schon eine Bewertung. Ich könnte aber auch auf die Sache schauen und sagen: Aha, interessant, da kommt eine E-Mail, wie antworte ich darauf – aber ich bewerte das nicht. Wenn wir die Bewertung und die Beurteilung verändern, verändert sich der Kontext. Nichts ist schwierig – das ist nur meine Bewertung.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. med. Jörg-Peter Schröder

Dr. med. Jörg-Peter Schröder ist als Arzt, Leadership-Vordenker, Business-Coach und Mediator seit über 25 Jahren im internationalen Gesundheitsmanagement tätig. Als Burnout-Experte und Change Facilitator begleitet er Unternehmer, Vorstände, Geschäftsführerinnen sowie Führungskräfte an der Nahtstelle von Leadership, agiler Transformation, Performance und Persönlichkeitsentwicklung. Zu den Themen Führung, Burnout-Prävention und Unternehmensgesundheit hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht. Mit internationaler Führungserfahrung in renommierten Konzernen (u. a. Allianz Gruppe, Oracle und Microsoft) unterstützt er mit der Methodik von Frequenzwechsel® Unternehmen, Teams und Individuen beim Aufbau einer gesunden Unternehmenskultur. Zentrale Aspekte seines Handelns sind das Mindset und eine integrale sinnstiftende Führungskultur des Empowerments, damit sich Unternehmen gesund entwickeln können. Seit seiner Kindheit betreibt er ostasiatische Kampfkunst und Meditation.

www.frequenzwechsel.de         
www.joergpeterschroeder.com