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Erfolgreiche Interventionen bei Lernstörungen

Lernstörungen sind gravierende Schwierigkeiten beim Erwerb und in der Anwendung schulischer Leistungen, meist beim Rechnen, Lesen und/oder Schreiben. Sie können sich bis ins Jugendalter fortsetzen und verschwinden nicht „von allein“, so dass es notwendig ist, mit effizienten Interventionen dagegen zu wirken. Wir haben mit den Herausgebern von „Interventionen bei Lernstörungen“, Prof. Dr. Gerhard W. Lauth, Prof. Dr. Matthias Grünke und Prof. Dr. Joachim C. Brunstein über die Neuauflage des Buches gesprochen.

 

Trauriger Junge über Schulheft Interventionen bei Lernstörungen Bild: Shutterstock / Veja

Was ist eine Lernstörung?

Lernstörungen werden in den einschlägigen Klassifikationssystemen definiert. Es handelt sich dabei um eine "klinische" Bestimmung, die sich auf Schulkinder bezieht. Für die Diagnose ist ein umfassender Lernrückstand in den grundlegenden Wissensbeständen notwendig, etwa im Zahlenverständnis, bei einfachen Rechenoperationen, beim Rechnen im 20er-Raum oder fehlende Buchstabenkenntnisse bzw. mangelnde Lesefertigkeiten. Diese Lernrückstände betreffen meist das Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie werden mittels Leistungstests festgestellt. Außerdem muss sichergestellt werden, dass keine Sinnesstörungen beim Hören und Sehen vorliegen und die schulische Förderung ausreichend war.

Diese Begriffsbestimmung legt nahe, dass Lernstörungen oft in den Eingangsklassen beginnen. Sie setzen sich jedoch häufig bis ins Jugendalter fort, sodass man beispielsweise auch eine 14-jährige Schülerin antrifft, die die Grundrechenarten nicht beherrscht oder sogar den Zahlbegriff nicht vorrätig hat.

Wie viele Kinder und Jugendliche sind von einer Lernstörung betroffen?

Im engeren Sinne sind etwa 4 % der Kinder und Jugendlichen betroffen. Betrachtet man die Lernleistungen, die in großen Vergleichsuntersuchungen erhoben werden, zeigt sich oft eine deutlich höhere Häufung. Beispielsweise zeigt sich, dass 10 Prozent nicht sinnverstehend lesen oder 6 Prozent nicht sicher rechnen können. Auch das sind natürlich Lernstörungen, aber weniger des einzelnen Schulkindes als einer größeren Teilgruppe von Schulkindern.

Wie entwickeln sich Lernstörungen?

Zunächst muss festgehalten werden, dass Lernstörungen nicht von allein verschwinden. Vielmehr wächst der Abstand zu den Mitschülern von Jahr zu Jahr. Dies liegt daran, dass der Unterricht fortschreitet und die Ausgangsbasis eines "poor Learner" immer weniger ausreicht, um "mitzulernen". So bleibt ein Kind oder Jugendlicher immer weiter zurück.

Was kann die Psychologie, welche Rolle spielt sie bei der Intervention gegen Lernstörungen?

Sie muss zunächst die Lernstörungen beschreiben und zur einer unvoreingenommen Beobachtung des Lernverhaltens einladen. Was tut die*der Lerner*in? Und was nicht? Wie lange arbeitet er/sie? Wann begann die Lernstörung? Ohne diese Beschreibung ist keine Intervention möglich. Dies gilt sowohl für die Zusammenarbeit mit dem einzelnen Schulkind als auch für Betrachtung des Themas insgesamt. Wünschenswert wäre eine wissenschaftlich-pragmatische Betrachtung, die sich auf Erfolgslernen und den möglichst intensiven Einsatz von übenden Verfahren bezieht. Hierzu gibt es eine Vielzahl von sehr effektiven Interventionsmethoden, wie beispielsweise tutorielles Lernen, direkte Instruktion, Selbstinstruktionstraining oder übendes Lernen.

Das Buch erscheint in 3. Auflage, was hat sich gegenüber den älteren Auflagen verändert, was ist neu?

Neu an dem Buch ist der Verbund aus Beschreibung und Erklärung von Lernstörungen und darauf aufbauende Interventionen. Lernstörungen werden als Beeinträchtigungen im Lernverhalten gesehen. 24 Kapitel behandeln einzelne Störungen, deren Erklärung und zugeordnete Interventionen. Zudem stellt das Buch 18 Methoden zur Intervention vor, die unmittelbar umgesetzt werden können. Es werden 50 Einzelkapitel angeboten, die verständlich und ohne Worthülsen geschrieben sind. Wir glauben, dass uns das recht gut gelungen ist.

Zudem – und das ist wichtig – bietet das Buch wirksame Methoden, die unmittelbar umgesetzt werden können. Diese Methoden unterscheiden sich drastisch von dem häufig praktizierten "Nachlernen", in der der gleiche Lernstoff erneut erklärt und bearbeitet wird. Dies ist oft zu erklärungslastig und wirkt nur bei wirklichen „Missverständnissen“. Bei Lernstörungen geht es aber um Rückstände. Deshalb eigenen sich übende Verfahren, die das jeweilige Lernverhalten zum Beispiel beim Zehnerübergang einüben. Das Verstehen ist dann Folge des Könnens. Umgekehrt klappt das aber nicht.

Was würden Sie empfehlen, um wirksam mit Lernstörungen umzugehen?

Zum einen sollten effektive Methoden herangezogen werden, die sich nachweislich bewährt haben. Zum anderen sollte die (übergroße) Zahl an Lernstörungen vermieden werden, denn selbst bei wirksamer Lerntherapie lassen sich die eingetretenen Lernrückstände meist nur begrenzen, jedoch kaum mehr vollständig beheben. Auch hierzu machen wir Vorschläge.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Gerhard W. Lauth

Prof. Dr. Gerhard W. LauthStudium der Psychologie an der Universität Mainz. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Rheinland-Pfalz und der Universität Oldenburg. Lehrstuhl für Rehabilitationspsychologie bzw. Psychotherapie an den Universitäten Dortmund und Köln. Seit 2014 emeritiert und als Psychotherapeut in Klinischer Praxis sowie in Weiterbildung tätig. 
Arbeitsschwerpunkte. Elterntraining, Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen, Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS); Lernstörungen; Verhaltenstherapie bei expansiven Störungen. Hierzu wurden zahlreiche Therapien bzw. Übungsverfahren entwickelt.

Prof. Dr. Matthias Grünke

Prof. Dr. Matthias Grünke, geb. 1969. 1992–1998 Studium der Psychologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. 1998-1999 Promotionsstudium Heilpädagogik an der Universität zu Köln mit Abschluss der Promotion. 1998-2005 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Wissenschaftlicher Assistent an der Universität zu Köln sowie Vertretungsprofessor an der Universität Leipzig. 2003 Habilitation an der Universität zu Köln. 2005-2007 Professor für Sonderpädagogik an der Universität Oldenburg. Seit 2007 Professor für Sonderpädagogik an der Universität zu Köln. 
Forschungsschwerpunkte: Effektivität von Lehrmethoden und Lernstrategien für Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten.

Prof. Dr. Joachim C. Brunstein

Prof. Dr. Joachim C. Brunstein, geb. 1957. 1983 Diplom im Fach Psychologie an der Justus-LiebigUniversität Gießen. 1984 – 1986 Promotionsstipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Promotion zum Dr. phil., 1986, an der JLU Gießen. 1986 – 1989 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung in München (Abteilung: Motivation und Entwicklung). 1989 – 1996 Akademischer Rat und Oberassistent an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg. 1993 Habilitation im Fach Psychologie zum Dr. phil. habil. 1996 – 1997 Vertretungsprofessor für Pädagogische Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt. 1998 bis 2004 Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Potsdam. 2004 bis 2023 Professor für Pädagogische Psychologie (Schwerpunkt: Schulische Interventionsforschung) an der Justus-Liebig Universität Gießen (seit 2023 i.R.). 
Forschungsschwerpunkte: Förderung von Lese- und Schreibkompetenzen, insb. Leseverständnis und Textproduktion. Schulische Förderung von Kindern mit Lernschwierigkeiten und Verhaltensproblemen. Umsetzung und Wirksamkeit von selbstgesteuertem, kooperativem und tutoriellem Lernen im Schulunterricht. Einzelfall-Interventionsforschung.

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