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Einflusskompetenz – Weniger ist mehr!

Konflikte entstehen dann, wenn einer etwas will und der andere damit nicht einverstanden ist oder davon gar nichts weiß. Ein Großteil der Konflikte im Berufsalltag resultiert aus schlecht oder falsch kommunizierten Erwartungen. Wir wollen zu viel oder das Falsche. Und wir sagen es nicht deutlich oder zu wenig durchdacht. Dabei hinterlassen wir dann oft eine egoistische oder unsympathische Wirkung. Diese Abstrahlung ist natürlich im Widerspruch zu unserem Ziel. Und zeitgemäß ist sie auch nicht.
Was aber haben Konflikte, Sympathie, Kommunikation und Egoismus mit Einfluss zu tun? Sehr viel. Denn es geht um die Frage der Haltung. Und wie wir die Haltung in Worte fassen, wenn wir mit unserem Adressaten sprechen. Stil und Inhalt unserer Kommunikation und unseres Verhaltens prägen das Ergebnis. Dabei kann weniger mehr sein – um eine stimmige und gute Wirkung zu erzielen.

Von Dr. Marco Behrmann.

Eine Frage der Dosierung

Die Frage der „Dosierung“ wird in der psychologischen Forschung schon lange diskutiert. Das Problem ist, dass sich dabei die Messlogik und die Anwendung ein wenig widersprechen. Die klassische Mess- und Testtheorie ist darauf ausgerichtet, Aussagen im Sinn von „je mehr desto besser“ zu machen (Lienert & Raatz, 1998). In der Anwendung ist es aber oft so, dass es eine Art Optimal-Punkt gibt, eine Schwelle für den stärksten Wirkungsgrad. Überschreitet man diese, verliert man an Wirkung. Die Diskussion wird in der Wissenschaft unter der Fragestellung „Too much of a good thing“ geführt (Le et al., 2011). Die Quintessenz: Manchmal ist „zu viel des Guten ungesund.“

Was heißt das nun für die Frage von Konfliktlösungen? Oder für die Frage von einflussvoller Kommunikation als Führungskraft? Oder für die Frage von gewinnender Ankündigung von Veränderungsprogrammen in Unternehmen? Es heißt, dass man sich gut vorbereiten muss und dafür einige Kompetenzen und Charakterstärken braucht, die man früher nicht brauchte (Niemiec, 2019). Systemisches, ganzheitliches Denken sind gefordert, gute Entscheidungskompetenz, Fairness und Zielorientierung. Konfliktvermeidung und Konfliktbearbeitung brauchen also die Fähigkeit, die Situation sachlich und ganzheitlich anzuschauen und dosiert besprechen zu können. Nachgiebigkeit und Einsicht bei vergessenen Bedürfnissen. Nachdruck und Durchsetzung bei unsachlichen Gegenforderungen – gewinnende und partnerschaftliche Verhandlung (Behrmann, 2016).

Einfluss nehmen heißt systemisch zu denken

Das bedeutet für Führungskräfte, sie sollten gut überlegen, was sie wollen UND was die Mitarbeitenden brauchen. Wenn sich das widerspricht, haben sie einseitig gedacht und eine „je mehr desto besser“-Rechnung aufgemacht. Es braucht ein wenig psychologisches Feingefühl und Wissen über richtige Dosierung bei Motivierung, Arbeitsgestaltung, Stressvermeidung, Delegation von Verantwortung und zur Pflege von Vertrauen (Schütz, Köppe, & Andresen, 2020).

Gleiches gilt für Change-Manager, wenn sie Menschen für eine Veränderung gewinnen wollen. Oft sind Maßnahmen hervorragend ausgearbeitet und genießen volles Vertrauen der Geschäftsleitung, lösen aber großen Widerstand bei der Belegschaft aus oder ignorieren gar deren Bedürfnisse (Greif, Runde, & Seeberg, 2004). Wer trotz guter Motive „die anderen“ vergisst und nur die eigenen Ziele im Sinn hat, denkt zu eng und einseitig und stößt folglich auf Widerstand. „Too much of a good thing!“ Weniger davon, dafür etwas anderes von etwas anderem sind gefordert: die Überlegung, wer wann wie eingebunden werden könnte und welche Bedürfnisse noch erfüllt werden müssen. Also, wie die Menschen, die die Veränderung umsetzen sollen, die Notwendigkeit für das Unternehmen, den Nutzen für sich und die Chancen für die Zukunft erkennen können.

Agilität erfordert einen Paradigmenwechsel im Denken

Das erfordert in der Vorbereitung ein wenig Beweglichkeit im Denken, Reflexion und Perspektivenübernahme. Eines der Grundprinzipien dieser berühmt-berüchtigten Agilität ist es, kooperativ und kundenorientiert zu denken (Bauer, 2017). Unter Einflussgesichtspunkten ist der Kunde immer die Person, die überzeugt und gewonnen werden soll. Wirkungsvolle und zeitgemäße Kommunikation erfordert also, gegenüber diesem „Kunden“ mit Kopf und Herz zu sprechen und Partnerschaft und Augenhöhe zu vermitteln. Und nur dann lässt sich auch ein klares Ziel verfolgen, das schließlich in der Regel ja nicht demokratisch verhandelbar ist, sondern umgesetzt oder erreicht werden muss. Hart in der Sache, aber weich in der Person (Fisher, Ury, & Patton, 2006). Das ist oft leichter gesagt als getan.

Weniger ist mehr – mehr erreichen durch bewusstes Weglassen

Der Paradigmenwechsel für mehr Partnerschaft und gute Dosierung regt also an, zu überlegen, was man weglassen kann, um mehr Einfluss zu erzielen. Hier sind ein paar Ideen:

  • weniger selbst gewinnen wollen, statt alles dran zu setzen, andere zu gewinnen
  • weniger taktisch einseitig vorgehen, statt strategisch ganzheitlich zu handeln
  • weniger rechtfertigen oder verteidigen, statt Feedback aufzunehmen
  • weniger Unverständnis signalisieren, statt die Perspektive zu wechseln
  • weniger auf Prozesse pochen, statt Freiheiten zum Ziel zu ermöglichen
  • weniger sich gegen andere positionieren, statt mit anderen zu überlegen
  • weniger alleine machen statt andere als Berater in Gedanken einzubeziehen
  • weniger reden, statt zuzuhören

Viel Erfolg!

Literatur

Literatur

Bauer, C. (2017). Jeder für sich oder gemeinsam fürs Ganze? Kooperation als Grundprinzip agiler Organisationen. München: Books on Demand.

Behrmann, M. (2016). Negotiation and Persuasion - The Science and Art of Winning Cooperative Partners. New York: Hogrefe.

Fisher, R., Ury, W., & Patton, B. (2006). Das Harvard-Konzept - Der Klassiker der Verhandlungstechnik. Frankfurt: Campus.

Greif, S., Runde, B., & Seeberg, I. (2004). Erfolge und Misserfolge beim Change Management. Göttingen: Hogrefe.

Le, H., Oh, I.-S., Robbins, S. B., Holland, E., Ilies, R., & Westrick, P. (2011). Too Much of a Good Thing: Curvilinear Relationships Between Personality Traits and Job Performance. Journal of Applied Psychology, 96(1), 113-133.

Lienert, G. A., & Raatz, U. (1998). Testaufbau und Testanalyse (6 ed.). Weinheim: Beltz.

Niemiec, R. M. (2019). Charakterstärken - Trainings und Interventionen für die Praxis. Bern: Hogrefe.

Schütz, A., Köppe, C., & Andresen, M. (2020). Was Führungskräfte über Psychologie wissen sollten - Theorie und Praxis für den Umgang mit Mitarbeitenden. Bern: Hogrefe.

 

Dr. Marco Behrmann

Marco Behrmann ist Inhaber und geschäftsführender Berater, Trainer und Coach der Tübinger personalpsychologischen Business-Beratung X-Rubicon ("cross rubicon").

Seine aktuellen Beratungsschwerpunkte liegen auf Soft Skills wie Führen, Verhandeln, Verkaufen, Konflikt und Persönlichkeitsentwicklung in Business-Anforderungen wie Remote Working, Employer Branding, Work-Life-Balance, Projekt-Leadership und Change. Er hat branchenübergreifende internationale und multikulturelle Beratungserfahrung und Expertise als Arbeits- & Organisationspsychologe, Personal-, Team- und Organisationsentwickler. Zudem ist er Mitglied der SIOP, Society for Industrial and Organizational Psychology.

Der Autor zahlreicher Fachartikel und Bücher zum Thema Verhandeln, Kooperieren und Führen legt Wert darauf, dass Methoden und Konzepte einerseits einfach und wirksam und andererseits wissenschaftlich robust sind. Gleichzeitig wirbt er für Humor bei der Arbeit, Anstand, Vernunft, ein gesundes Bauchgefühl und dosiertes Verhalten nach dem Motto "weniger ist mehr".