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Diagnostik psychischer Auffälligkeiten bei Klein- und Vorschulkindern

Die beiden Fragebögen CBCL/1½-5 und C-TRF/1½-5 werden eingesetzt, um Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Auffälligkeiten und somatische Beschwerden bei Klein- und Vorschulkindern zu erfassen. Sie haben sich seit vielen Jahren als fester Standard in der klinischen Praxis und Forschung bewährt. Erstmals liegt nun ein deutschsprachiges Manual mit deutschen Normen vor. Wir haben mit den Autor*innen darüber gesprochen.

Kind mit Regenschirm psychische Auffälligkeiten testen Diagnostik

Wann werden die Fragebögen eingesetzt?

Bei welchen Frage- und Problemstellungen bietet es sich an, die Fragebögen einzusetzen?

Da die beiden Fragebögen eine große Bandbreite von Verhaltensproblemen erfassen, eignen sie sich im Einzelfalleinsatz besonders gut für die frühe diagnostische Phase und können neben der spontan berichteten Symptomatik auch weitere Bereiche des kindlichen Verhaltens erfassen. Es lassen sich Hinweise ableiten, inwiefern im nächsten Schritt gezielt störungsspezifische Diagnoseinstrumente einzusetzen sind, um die zentrale Symptomatik oder etwaige Komorbiditäten weiter abzuklären. Weiterhin können die Fragebögen als Screening-Instrument eingesetzt werden, um innerhalb von Gruppen Individuen zu identifizieren, die allgemein oder in spezifischen Bereichen belastet sind. Die Instrumente eignen sich zudem für die dimensionale und kategoriale Verlaufsmessung.


Welche Aussagen können aus den Fragebögen abgeleitet werden?

Dafür bestehen mehrere Optionen. So können kategoriale Aussagen über Verhaltensbereiche getroffen werden, also Aussagen darüber, ob das untersuchte Kind in einem oder mehreren spezifischen Bereichen auffälliges Verhalten bzw. im Grenzbereich zur Auffälligkeit einzuordnendes Verhalten zeigt. Für diesen Zweck werden alle Einzelitems zu inhaltlich zusammenhängenden Dimensionen aggregiert, d. h., es werden verschiedene Problemskalen zu internalen und externalen Problemen sowie zusätzlich DSM-orientierte Skalen gebildet. Die Skalenwerte können mit ermittelten Grenzwerten (T-Wert-Grenzen) verglichen werden. Auch dimensionale Aussagen und Aussagen zu relativen Veränderungen über die Zeit sind möglich.

Für Anwender*innen wesentlich ist, dass die Fragebögen aufgrund ihres breitbandigen Charakters auch Probleme erfassen können, die nicht spontan berichtet werden. Dadurch lassen sich Anhaltspunkte für eine weitergehende vertiefte Exploration ableiten. Hohe Ausprägungen auf den Problemskalen sollten zum Anlass genommen werden, die entsprechenden einzelnen Items zu inspizieren und gegebenenfalls die Eltern und/oder Erzieher*innen gezielt weiter zu befragen. Eine weitergehende Exploration sollte auch dann erfolgen, wenn unterschiedliche Beurteiler*innen in ihren Bewertungen spezifischer Verhaltensweisen stark voneinander abweichen.


Warum wird der Einsatz von CBCL/1½-5 und C-TRF/1½-5 bereits für Kinder ab einem Alter von 1½ Jahren empfohlen, obwohl Normdaten erst ab 2 Jahren vorliegen?

Auch für Kinder zwischen 1½ und 2 Jahren lassen sich aus den Fragebögen wertvolle diagnostische Informationen ableiten. Bei der Auswertung in diesem Altersbereich können die Rohwertsummen der Problemskalen und der DSM-orientierten Skalen wie gewohnt berechnet werden. Die Interpretation stützt sich dabei vorrangig auf den Anteil der Items, die in jeder Skala mit 1 „etwas oder manchmal“ bzw. 2 „genau so oder häufig zutreffend“ beantwortet wurden. Dadurch lassen sich Hinweise auf Problembereiche gewinnen, die aus der Sicht der Beurteiler*innen mehr oder weniger stark ausgeprägt sind. Auch für diese Altersgruppe bieten die Fragebögen aufgrund ihres breitbandigen Charakters Hinweise auf evtl. spontan nicht berichtete Probleme. Die Fragebögen sind also in jedem Falle eine effiziente Ausgangsbasis für eine weitere Vertiefung in der Exploration.

 

Bestehen Auswertungsmöglichkeiten mit Bezug zu DSM-5?

Zusätzlich zu den Problemskalen erster und zweiter Ordnung existieren auch sogenannte DSM-orientierte Skalen. Was beinhalten diese Skalen und erlauben sie eine Diagnosestellung nach DSM-5?

Die DSM-orientierten Skalen sind als Ergänzung zu den empirischen Problemskalen zu verstehen und sollen einen Transfer zu kategorialen Diagnostik-Systemen erleichtern. Es muss jedoch betont werden, dass diese Skalen kein direktes Äquivalent zu DSM-Diagnosen sein können und wollen. Die Itemformulierung weicht von den DSM-Kriterien ab, der Beurteilungszeitraum ist begrenzt. Die Skalen weisen eine dimensionale Skalierung auf und werden normorientiert ausgewertet. Zwar ist ein Vergleich dieser Normwerte mit Cut-off-Werten möglich und somit können auch kategoriale Aussagen anhand dieser Skalen getroffen werden, es handelt sich dabei aber wie gesagt nicht um Äquivalente zu DSM-Diagnosen!


Wer kann die Fragebögen ausfüllen?

Der Fragebogen C-TRF/1½-5 wird von Erzieher*innen ausgefüllt. Welche Voraussetzungen sollten erfüllt sein, damit das Ergebnis aussagekräftig ist, auch in Bezug auf die Betreuungsbedingungen?

Der Bezugsrahmen für die Beantwortung der Problemfragen umfasst die vergangenen zwei Monate. Die Betreuungsperson (z. B. Erzieher*in) sollte das Kind also seit mindestens zwei Monaten kennen und es während dieser Zeit auch in Interaktion mit anderen Kindern erlebt haben. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Normwerte des Verfahrens in Regeleinrichtungen erhoben wurden. Wird der Bogen also in einer Situation mit deutlich abweichenden Betreuungsbedingungen (z. B. familiale Betreuungsform) eingesetzt, gilt entsprechender Vorbehalt bei der Interpretation der Normwerte.


Kann der Elternfragebogen evtl. auch von anderen Angehörigen ausgefüllt werden als von den Eltern?

Ja. Der Elternfragebogen kann auch von anderen Personen ausgefüllt werden, sofern diese in der Rolle einer primären Bezugsperson Einblick in die Lebenswelt des Kindes haben. Bei der normbasierten Auswertung gilt jedoch ein entsprechender Vorbehalt, da die Normstichproben auf Antworten von Elternteilen basieren, in der Regel auf den Angaben von Müttern. Es ist auch möglich, den Elternfragebogen sowohl von den leiblichen Eltern als auch von anderen Angehörigen ausfüllen zu lassen. Etwaige Abweichungen zwischen den Beurteilungen stellen einen relevanten Informationsgewinn dar und sollten bei der Interpretation in das Gesamtbild integriert werden.

Was ist neu?

Viele Anwender*innen kennen das Verfahren bereits und haben bislang die deutschsprachigen Fragebögen gemeinsam mit dem englischsprachigen Manual und den englischsprachigen Auswertungsbögen eingesetzt. Was sind die wesentlichen Änderungen?

Es liegt mit dieser Veröffentlichung erstmals ein deutschsprachiges Manual vor, was die zuverlässige Auswertung und Interpretation der mit den Fragebögen erhobenen Informationen unterstützt. Darüber hinaus können nun erstmals Normwerte zur Verfügung gestellt werden, die auf einer umfangreichen, mit den deutschsprachigen Fassungen erhobenen Datengrundlage basieren und damit etwaige kulturspezifische Unterschiede bei der Bewertung der Fragen berücksichtigen können.

Die Items der Fragebögen wurden im Rahmen eines Übersetzungs-Rückübersetzungsprozesses letztmalig 2014 angepasst, sind also seit 2014 unverändert verfügbar. Es wurden jedoch deutschsprachige Auswertungsmaterialien (Auswertungsbögen, Schablonen) neu erstellt. Die Gestaltung lehnt sich an diejenige der Auswertungsmaterialien für die Schulalter-Formen der CBCL an. Das Layout der Fragebögen wurde überarbeitet, um eine Passung der Schablone zu ermöglichen.


Können die gleichen Kennwerte wie bisher gebildet werden und stimmen die Skalenzusammensetzungen mit den bisherigen überein?

Ja, die bewährte Skalenzusammensetzung wird beibehalten, d.h. es werden die gleichen Kennwerte bzw. Skalenwerte gebildet. Ihre Gültigkeit wurde kulturbergreifend bestätigt. Die Gültigkeit der Skalenzusammensetzung wird zusätzlich durch die im deutschsprachigen Manual berichteten Befunde bestätigt, die allein auf Grundlage der deutschsprachig erhobenen Daten aus Klinik und Feld gewonnen wurden.

Ist eine Kombination der Fragebögen sinnvoll?

Es steht ein Fragebogen für Eltern und ein Fragebogen für Erzieher*innen zur Verfügung. Sollen die beiden Fragebögen immer gemeinsam eingesetzt werden?

Sofern es um eine klinische Diagnostik geht, ist der gemeinsame Einsatz sehr zu empfehlen, weil Kriterien wie „situationsübergreifende Symptomatik“ so relativ einfach abzuklären sind und die sich aus dem Abgleich beider Perspektiven ergebenden Informationen die Gesamteinschätzung vervollständigen. Sollte dies nicht möglich sein, rechtfertigt sich der Einsatz nur eines der beiden Fragebögen aufgrund der großen Bandbreite der erfassten Verhaltensweisen des Kindes.


Warum ist es so wichtig, beide Perspektiven zu erfassen?

Idealerweise sollten möglichst verschiede Perspektiven des kindlichen Verhaltens erfasst und im Rahmen einer multiplen Diagnostik integriert werden. Wenn Bewertungsunterschiede auftreten, sollten diese in einer weitergehenden vertieften Exploration abgeklärt werden. Sie können auf die Situation (Situationsspezifität), den Beurteilenden (unterschiedliche Informationsbasis, abweichende Urteilsanker, etwaige Simulations- oder Dissimulationstendenzen) oder eben tatsächliche Unterschiede im Verhalten zurückgeführt werden und liefern so wertvolle Informationen für Diagnose und Behandlungsplanung!

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!