Klinik und Therapie

Computerspielabhängigkeit

Spielen am Computer ist häufig ein harmloses Hobby, bei einigen Spielern wird es jedoch zum ernsthaften Problem. Wo die Grenze zwischen beidem verläuft, ist selbst für erfahrene Diagnostiker nicht immer einfach zu beurteilen.

Um das Störungsbild greifbar zu machen, wurde die Computerspielabhängigkeit neu als Forschungsdiagnose „Störung durch Spielen von Internetspielen“ ins DSM-5 aufgenommen. Dies haben wir zum Anlass genommen, um uns mit einem Experten für stoffungebundene Süchte, Dr. Florian Rehbein, über das Störungsbild und seine Diagnostik zu unterhalten.

Interview mit Dr. Florian Rehbein

Herr Dr. Rehbein, Sie forschen im Bereich der Computerspielabhängigkeit. Welche offenen Fragen gibt es bezüglich dieses Störungsbildes?
In den letzten Jahren wurden gute Fortschritte in der Erforschung von Computerspielabhängigkeit gemacht. Da dieses Forschungsfeld noch vergleichsweise jung ist, gibt es aber noch viele offene Fragen. Dies betrifft zum Beispiel den Verlauf und die langfristigen Folgen von Computerspielabhängigkeit, aber auch ihr Zusammenspiel mit anderen psychischen Erkrankungen. Eine besonders große Forschungslücke betrifft die Frage nach der Wirksamkeit präventiver und therapeutischer Maßnahmen.

Die „Störung durch Spielen von Internetspielen“ ist inzwischen als Forschungsdiagnose ins DSM-5 aufgenommen worden. Worin unterscheidet sich die Störung von anderen Spielsüchten und von exzessiver Internetnutzung?
Das DSM-5 bezieht sich mit dieser Forschungsdiagnose exklusiv auf die Nutzung von elektronischen Bildschirmspielen (Computer- und Videospiele) und zwar unabhängig von der genutzten Spieleplattform (z. B. Computer, Tablet, Smartphone, stationäre oder mobile Spielkonsole). Abzugrenzen ist sie somit zum einen von der pathologischen Internetnutzung, die sich auch auf andere Aktivitäten im Internet und nicht nur auf das Spielen bezieht. Somit fällt z.B. eine problematische Nutzung sozialer Netzwerke oder von Internetpornographie nicht unter diese Forschungsdiagnose im DSM-5. Zum andern ist sie von der Störung durch Glücksspielen abzugrenzen. Probleme in Zusammenhang mit Internetglücksspielen fallen somit ebenfalls nicht unter die Störung durch Spielen von Internetspielen.

Anders als der Name vermuten lässt, umfasst die „Störung durch Spielen von Internetspielen“ auch Spiele, die offline gespielt werden. Können Sie uns dies näher erläutern?
Die Störungsbezeichnung ist etwas irreführend, denn eine Beschränkung auf Internetspiele ist nicht vorgesehen. Unter den Erläuterungen im DSM-5 wird darauf hingewiesen, dass sich die Diagnose auch auf Spiele ohne Internetverbindung (Offlinespiele) bezieht. Eine Ausklammerung von Offlinespielen wäre auch kaum zu begründen. Offline- und Onlinespiele ähneln sich innerhalb der Genreklassen in vielerlei Hinsicht. Auch Offlinespiele werden in exzessiver und problematischer Weise genutzt. Allerdings werden Onlinespiele bislang häufiger als Offlinespiele in problematischer Weise genutzt.

Sehr viele Menschen spielen Computerspiele, ohne dass dies für sie oder ihre Umgebung je ein Problem wird. Unter welchen Umständen besteht die Gefahr einer Computerspielabhängigkeit?
Aufgrund der geringen Zahl von Längsschnittstudien ist die Erkenntnislage hierzu noch etwas bruchstückhaft. Besonders häufig betroffen sind männliche Personen, die eine erhöhte Impulsivität aufweisen und häufiger von sozialer Vereinsamung betroffen sind. Zudem weisen die Betroffenen ein geringeres Ausmaß an Selbstwirksamkeitserwartungen, sozialer Kompetenz und Empathiefähigkeit auf. Im Jugendalter sind das Aufwachsen in einer Ein-Eltern-Familie, eine geringe Bindung an die Schule, eine geringere Integration in die eigene Schulklasse und der Besuch einer niedrigeren Schulform offenbar risikoerhöhend. Auch die Zuwendung zu bestimmten Spielformen kann das Risiko deutlich erhöhen, denn Spiel ist nicht gleich Spiel. Gerade Nutzer von internetbasierten Rollenspielen, Shooterspielen oder Strategiespielen tragen ein erhöhtes Risiko, in den Sog der virtuellen Spielwelten zu geraten und durch ihr Spielverhalten beeinträchtigt zu werden. Aber auch hier sind noch viele Fragen offen und wir brauchen differenziertere ätiologische Modelle, um die Entstehung von Computerspielabhängigkeit besser verstehen zu können.

Welche Herausforderungen stellen sich bei der Diagnostik einer Computerspielabhängigkeit?
Die Nutzung von Computer- und Videospielen ist in vielen Gesellschaften – so auch in Deutschland – weitverbreitet. Den meisten Spielern gelingt es glücklicherweise gut, ihr Hobby in unproblematischer Weise in ihre Freizeit zu integrieren. Da mag es mal zu Phasen intensiverer Spielenutzung und zu tagelangem Zocken kommen, nachdem ein neues Spiel erworben wurde. Aber das würden wir nicht unbedingt auch im klinischen Sinne als Problemverhalten bewerten. Eine große Herausforderung ist es somit, unter den Spielern diejenigen zu erkennen, die ein anhaltendes Problemverhalten entwickeln, welches relevante Beeinträchtigungen mit sich bringt. Dies kann nur dadurch gelingen, dass mittels fachgerechter psychologischer Diagnostik überprüft wird, ob Symptome vorliegen, die auf ein problematisches Computerspielen hindeuten. Viele Diagnostiker sind jedoch mit Computerspielabhängigkeit bislang wenig vertraut und unsicher darin, wie solche Probleme fachgerecht erkannt werden können. Im schlimmsten Fall wird dann gar nicht erst über das Spielverhalten gesprochen. Infolgedessen bleiben eine Problematik sowie evtl. vorhandene therapeutische Ansatzpunkte unerkannt.

Sie sind Autor der kürzlich erschienen Computerspielabhängigkeitsskala (CSAS). Was kann mit dem Verfahren erfasst werden?
Das Verfahren ermöglicht im Kern verdachtsdiagnostisch abzuklären, ob eine Störung durch Spielen von Internetspielen nach DSM-5 im Selbstbericht vorliegt. Die Auswertung erfolgt sowohl kategorial als auch dimensional. Das heißt, man kann zum einen die Anzahl der verdachtsdiagnostisch erfüllten Kriterien bestimmen. Zum anderen kann man die Höhe der Gesamtbelastung feststellen, indem man einen Vergleich zu einer normativen Bezugsgruppe vornimmt. Die Spielzeit wird ebenfalls mit Normen abgeglichen. Dadurch ist es möglich, die zeitliche Bedeutung des Spielverhaltens im Alltag des Probanden einzuschätzen. Ergänzend kann die Fremdbeurteilung eines Lebenspartners oder eines Elternteils eingeholt und in die diagnostische Urteilsbildung integriert werden.

Welche Vorteile bietet die CSAS dem Diagnostiker gegenüber anderen Verfahren?
Die CSAS ist ein gut erprobtes Verfahren. Sie wurde von meinen Kollegen und mir in einer insgesamt 10-jährigen Arbeit entwickelt und immer weiter optimiert. Die aktuelle Version der CSAS hält sich sehr eng an die Vorgaben der DSM-5-Forschungsdiagnose. Zudem ist sie anhand großer Stichproben normiert und untersucht worden. Weitere Vorteile sind sicherlich die angesprochene Kombination einer kategorialen und dimensionalen Auswertung, die Möglichkeit des Einsatzes in einem breiten Altersspektrum (Jugendliche und Erwachsene) und die Möglichkeit, die Selbstbeurteilung um eine Fremdbeurteilung zu ergänzen. Dadurch ergibt sich eine recht große Anwendungsbreite.

Woran arbeiten Sie derzeit? Wird es aus Ihrer Feder noch weitere diagnostische Verfahren oder Bücher geben?
Ich werde mich auch in Zukunft mit den epidemiologischen Grundlagen und der Diagnostik von stoffungebundenen Suchterkrankungen beschäftigen. Da werde ich mir bestimmt auch noch über das ein oder andere Buch bzw. diagnostische Verfahren Gedanken machen. Im August 2015 ist im Verlag Oxford University Press das von Nancy Petry herausgegebene Buch “Behavioral Addictions: DSM-5 and Beyond” erschienen, welches einen Überblick über die aktuelle Forschungslage zu stoffungebundenen Suchterkrankungen vermittelt. Darin habe ich an der Erstellung der Kapitel Internet Gaming Disorder und Internet Addiction mitgewirkt.

Das Interview wurde von Dr. Anke Hensel geführt.

Dr. Florian Rehbein