Die Vorstellung, man könnte sein eigenes Kind töten wollen oder der Gedanke, man habe jemanden gegen seinen Willen unsittlich berührt – aggressive und sexuelle Zwangsgedanken sind extrem scham- und schuldbesetzt, der Umgang damit für Betroffene und Therapierende schwierig. Wie kann geholfen werden? Im Interview hat uns Autor Thomas Hillebrand erfolgreiche Therapieansätze vorgestellt
Was unterscheidet aggressive und sexuelle Zwangsgedanken von anderen Zwangsgedanken?
Ein zentraler Unterschied besteht darin, dass sich die Inhalte dieser Gedanken vollständig gegen die moralischen Werte und die eigentliche Persönlichkeit des Betroffenen richten. Die intrusiven und ungewollten Gedanken unterstellen dem Betroffenen, er könne eine verbrecherische Tat ausführen wollen, z.B. einen Menschen ermorden oder Kinder missbrauchen. Die Betroffenen können sich die Existenz dieser so intensiv angstbesetzten Gedanken nicht anders erklären, als einen bislang unentdeckten und „schlummernden“ Anteil in sich zu vermuten, der nun drohe zum Ausdruck zu kommen. Allein den Gedanken zu denken, stimuliert bereist eine intensive Angstreaktion und eine massive Verurteilung der eigenen Person. Ein Patient brachte es auf den Punkt: „Allein dafür, diesen Gedanken zu denken, gehört man ins Gefängnis!“. Dieser Aspekt des Verstoßes gegen die eigenen moralischen Werte findet sich in dieser Form nicht bei anderen Zwangsgedanken. Den Gedanken zu haben, man könnte beim Berühren einer Türklinke mit krankheitserregenden Bakterien oder Viren in Kontakt kommen, verstößt nicht gegen moralische Werte. Das Gleiche gilt für den Gedanken, man könnte den Herd nicht richtig kontrolliert haben oder die Blumenvase nicht genau richtig auf der Mitte der Fensterbank angeordnet zu haben. In diesen Fällen verurteilt sich der Betroffene nicht dafür, überhaupt diesen Gedanken zu denken. Im Gegenteil, der Gedanke an sich wird als hilfreiche Warnung erlebt, es ist ausschließlich der Inhalt, der die Angst erzeugt. Menschen mit aggressiven oder sexuellen Zwangsgedanken erleben bereits das Auftreten des Gedankens an sich als eine persönliche Katastrophe.